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Weg und Ziel – mitdem Zug einmal rund um Italien

Wenn jemand eine Reise tut... Es gibt einige nette Redensarten und Sprichworte rund um das Reisen und eine Redewendung geht ja davon aus, dass der Weg das Ziel sei. Wenn wir verreisen, dann ist das meist so, dass der Weg als Erlebnis für die Augen auch eine Rolle spielt. Neue Eindrücke am Wegesrand gehören zu unseren reisen.

Doch der Weg hat uns schon manch eindrückliche Begegnung beschert, die wir so schnell nicht vergessen werden. Und diese Reise damals (1985) war uns wichtig geworden, wir waren rundherum neu-gierig. Am Anfang der Fahrt stand eine Woche Erholung in einem Pustertaler Bergdorf (Südtirol), da kannten wir uns aus, da machten wir schon seit vielen Jahren mindestens drei Wochen Urlaub, es war dort längst wie nach Hause kommen. Die beiden ersten Tage galt es alten Bekannten „Grüß Gott“ zu sagen, Grüße von anderen auszurichten... aber in dem Jahr wollten wir uns auch des einen Bekannten bedienen, der mit seinem perfekten Italienisch uns bestimmt helfen könnte, an den ausgewählten Stationen für die Rundfahrt bahnhofsnahe Quartiere zu finden. Denn im Deutschland vor den internetten Zeiten fanden wir kein Reisebüro, dass sich dafür in der Lage sah. Und dann hörte Johann von unserem Wunsch. „Was wollt Ihr?! - wisst Ihr, was Ihr Euch da antun wollt?!“ - wieso eigentlich diese Bedenken? Sicherlich zu der Zeit herrschte noch ein recht aufdringliches Misstrauen gegen alles was irgendwie italienisch roch oder überhaupt Italien heißt. In dem Dorf war man noch stolz darauf, dass kein Italiener dort Wohnung suchte... wer die Geschichten kennt, das Erleben der Einheimischen, der kann es nachvollziehen, durfte da aber schon kritisch nachfragen, ob der Hass nicht ein Stufe zu weit gehen würde. Jedenfalls Johann warnte uns als erstes auf eine sehr praktische Art und Weise „Habt um alles in der Welt immer eine „Gazetta dello Sport“ dabei, haltet sie in der Hand!“ aber wir beherrschten wirklich keine erkennbares Italienisch, bis auf die typischen Touristen-Brocken. Macht nichts, damit würde man uns nicht gleich als Touristen wahrnehmen „und vermeidet es um alles in der Welt, länger als drei Minuten einen Fotoapparat in der Hand zu haben, denn sonst ist er sofort weg!“ Johann meinte es wirklich gut mit uns. Er selber war tätiger Reisekaufmann und seine Aufgabe war es, sich um die Touristen in seinem kleinen Bergdorf zu kümmern. Er kannte uns schon lange, auch unserer Eigenwilligkeit vieles nicht grad so zu machen, wie es die meisten gerne machen. Und darum versuchte er es eben auch nicht, uns die Tour auszureden – Die Fahrkarten hatten wir eh schon gebucht und auch mit den ersten Platzkarten hatte es bestens geklappt. Johann fand für uns wirklich sehr praktisch gelegene Quartiere: in Ravenna, in Brindisi und auch in Reggio di Calabria, aber dann wollten die Italiener nicht mehr mitspielen, „ich habe es Euch ja gesagt, die ticken irgendwie anders!“ In Salerno wollte man so weit im Voraus keine Vorbuchung annehmen, wir sollten einfach so vorbei kommen und in Pisa, da meinte man, eigentlich haben wir immer irgendwie ein zwei Betten frei!

Da entdeckt man sein deutsches Ordnungsgemüt, alles hübsch geplant, und gut vorbereitet sein. Trotzdem, wir waren zufrieden, bis zur Stiefelspitze sollte es schon alles klappen! Oben

Dann die Fahrt nach Ravenna, alles mit dem Zug. In Bozen der Zug war erstaunlich pünktlich, der Zug war sehr gut gefüllt, unser Platz war vorhanden, uns gegenüber ein einzelner Herr. Vertieft in eine römische Zeitung. Wie schauen nach draußen und staunen und dann plötzlich Ende der Alpen, das kommt schon sehr überraschend, der Mann uns gegenüber legt die Zeitung beiseite und spricht uns an, in feinstem Hochdeutsch (des Hannoveranners Dialekt gewissermaßen) „aber Sie sind doch eben in Bozen zugestiegen, woher kommen sie denn jetzt?“ wir erzählen kurz von der sieben-Tage-Pause im Pustertal. Das Dorf war ihm sogar geläufig! Und wohin wir jetzt wollten. Er war stolz, das war ihm anzusehen, als wir von unserem Plan hörte und über die uns anempfohlenen Vorsorgemaßnahmen konnte er nur fröhlich lächeln. „Sie müssen wissen, so schlimm ist das in Italien nun auch wieder nicht. Überhaupt muss man Italien in drei Teilen sehen und verstehen, da gibt es den nördlichen Teil, das ist alles das, was bis etwa Rom reicht, das sind eher Menschen, wie in Österreich oder in der Schweiz. Und dann gibt es einen südlichen Teil, so etwa ab Salerno bis Sizilien. Die Leute sind etwas stürmischer, die passen eher nicht zu den Nördlichen und trotzdem ist das mit Mafia und so eher ein übertriebenes Gerücht!“ und dazwischen? Neapel? – vergaß er das zufällig oder absichtlich? In Bologna stieg er dann leider schon aus und so war unser Gespräch zu früh unterbrochen. Jetzt wussten wir etwas von Italien, mit dem wir eher nichts anfangen konnten. Ravenna war eines der Ziele, und auch Brindisi, darum hier kein Reisebericht von diesen wunderschönen Orten, auch die Abstecher nach Galipoli und Lecce bleiben hier ausgeklammert. Nur der Weg in Lecce durch diese herrliche weiße Stadt mit ihren so vielen uralten Überraschungen. Im Dom war – als wir dort ankamen - grad eine Messe; wir wollten nicht stören und später noch einmal dort hingehen. Aber wo war der Dom denn nun auf einmal. Verlaufen? „oh, kann ich Ihnen vielleicht helfen?!“ hinter mir stand ein ausdrucksstarker Südländer, Italiener. Er sprach Deutsch, selbst im Bahnhof von Brindisi verstand keiner der Leute Englisch, geschweige denn Deutsch. Die Rucksacktouristen halfen sich untereinander, oder sprachen gezielt fremdländisch aussehende Touristen an, auch uns... und nun fast in der Hackenspitze Italiens „kann ich ihnen vielleicht helfen?“ Helfen schon, aber jetzt war erst einmal die Neugier größer, wo hat er so gut unsere Sprache gelernt? Und dann erfahren wir seine Geschichte von Rüsselsheim und Opel, wie schön die Zeit war, und was er sich von dem dort verdienten Geld in der Heimat aufgebaut habe... und er führt uns zum Dom, einmal um die Ecke rum und er zog fröhliches seines Weges.

Am selben Tag von Lecce nach Brindisi am Abend zurück zu unserem Quartier geschah die vielleicht bewegenste Geschichte, der ganzen Rundreise. Oben

Erst am Bahnhof angekommen schaue ich noch einmal nach, welcher Bahnsteig... ach, die liebe Güte: Unser Zug ist eine der legendären europäischen „Langläufer“ Lecce – Bologna – Schweiz – Stuttgart. Der Bahnsteig ist rappelvoll; wenn die alle in den Zug wollen, diese vielen Koffer und Kartons - dann müssen wir eben bis Brindisi stehen. Der Zug rollt heran - große Unruhe, Hektik, auch wir steigen ein, der Bahnsteig ist immer noch voll – wir verstehen: einer geht auf große Fahrt und zwanzig bringen ihn zum Zug. Wir nehmen vorsichtshalber die beiden freien Plätze gleich im ersten Abteil nahe der Tür, denn wir werden nur zwanzig Minuten zu fahren haben. Vier Frauen sitzen bereits und drei plaudern zunächst für sich wie scheinbar alte Bekannte – vermutlich ist es nur das Bedürfnis, nicht in der engen Gemeinsamkeit stumm zu sitzen und sich anzuschweigen. Ganz unvermittelt spricht eine dieses Trios die noch immer Schweigende an, - sie mag nur schwer aufsehen. Aber sie spricht und das merklich stockend – erstaunlich für das sonst im Süden übliche Sprachtempo; kein Wasserfall, eher ein träger trauriger Fluss. Die Wortführerin wird auch leiser und langsamer, die beiden anderen sind still und nicken nur, verdunkeln ihre Minen und dann ganz unvermittelt spricht die Wortführerin erst meine Frau an, die mich ratlos ansieht und dann mich. Und ich in meiner Hilflosigkeit eines italienischen Nichtschwimmers, zeige auf mich und sage nur „no italian, io tedesci!“ - das interessiert nicht, ich habe gefälligst zuzuhören und zu kapieren. Und wirklich, ich verstehe kein Wort und weiß dann doch alles: Die eher schweigsamere Frau ist auf dem Weg nach Bologna, über Nacht, mit diesem Zug. Und in Bologna ist ihr Mann in einer Klinik verstorben und nun will sie seinen Leichnam von dort in die Heimat holen! Ich soll das gefälligst wissen, ich soll Anteil nehmen, Mit-Leid zum Ausdruck bringen. Mein Gesichtsausdruck muss ohne Akrobatik genau das richtige gezeigt haben. Auf einmal waren zwanzig Minuten eine viel zu kurze Zeit für alles das, was ich wahrscheinlich hätte noch erfahren können, mitnehmen dürfen, so viel wurde mir schon auf dem kurzen Stück mit-geteilt!   Oben

Es folgten als Etappe noch Taranto. Und in Reggio di Calbria habe ich mich dann als so richtig typisch Deutsch geoutet. „Frühstücken“ in Süditalien, kennt man nicht – das wissen wir nun auch! An jeder Ecke gibt es an jedem Morgen, denn Gott die Sonne aufgehen lässt, eine Tratoria oder etwas ähnliches, wo man einen heißen Café und ein süßes Gebäck auch mit Beilagen bekommen kann – man kann sich dran gewöhnen. Reggio.d.C. brachte mich nicht nur wegen der Temperaturen im September zum kochen. Wir wollten mit dem Zug zu dem Badeort Loccri. Was lag da näher, als das Brötchen und den Café im Bahnhof zu genießen. Oh, die Bäckerei hatte noch nicht geliefert, das verstand ich mit dem Zeigen der leeren Hände auf die leeren Regale. Aber Café auf nüchternen Magen, besser nicht! Also schnell nach einer Alternative suchen, - zwei Straßen weiter gefunden – ein herrlich volles Regalfach mit Backwaren, dazu schönste Mortadella und allzu gut aussehende Käsesorten. Die Sprache ist unwichtig, wir wurden umgehend verstanden. Und dazu je einen Café, bitte! - Café ist nicht, fällt heute aus, weil Kaffee-Automat ist leider defekt und heute ist Sonntag – „Scheiße!“ rutscht es mir raus – und im selben Moment tippt mir von hinten jemand auf die Schulten und in wieder einmal feinstem Hochdeutsch „ach, schau da, Du kommst aus Deutschland?!“ - ich hätte im Boden versinken können, ertappt! - Aber, ich kann mich auch wieder selber aufrichten und schaue mir den tiefbraun gebrannten schwarzhaarigen Calabresen an, staune und frage „Woher können so gut Deutsch?“ und ich erfahre ohne Umwege: Er hat von 1939 bis 1955 als junger Mann in Bozen seinen Pflichtdienst geleistet! Ach, da kommen wir ja grad auf einem langen Umweg her. Mehr will er aber nun nicht mehr sagen... Erst im Zug wird mir dann klar, was das besondere an seiner Aussage war: Während der Zeit der Faschisten und noch lange danach war es in der Teilprovinz „Alto Adige“ (wir nennen es „Südtirol“) verboten, Deutsch zu sprechen, geschweige denn zu lehren. Wer sich nicht für die Ausreise nach Österreich oder Deutschland entschied, dessen deutsch klingender Vor- und Familienname wurde italienisiert, selbst die Berge und Seen, die Orte, einfach alles bekam einen oft genug frei erfundenen italienischen Namen. Warum konnte dieser Mann trotzdem so gut diese Sprache lernen? Es bleiben nur sehr wenige Erklärungsmöglichkeiten, wobei die Schule der Foculare wohl eher ausscheidet. Oben

Die Italiener erlebten wir als ein herzliches Volk. Und dabei sind die Busfahrer vom Zentralen Omnibusbahnhof in Salerno einer der vielen kleinen Belege. Wir wollten uns einen Tag lang im nahe gelegenen Pompei umschauen, wir wussten es gibt eine Buslinie direkt zum historischen Gelände. Aber welche?! Was macht man als Dummer? Man fragt, am besten einen Busfahrer! Ohne groß zu fackeln steigt gleich der erste aus, packt uns am Arm und führt uns genau zu dem passenden Bus!, basta! Das ist Service! Oben

Und als wir uns dann am letzten Tag von Pisa aus auf den Heimweg machten und durch die Bahnhofshalle gehen, fällt es meiner Frau siedend heiß ein „Wir haben was ganz wichtiges vergessen!“ Sie erblickte soeben am Kiosk die „Gazzetta dello Sport“ - tatsächlich, wir hatten nie eine dabei, etwa 1000 Fotos haben wir mit unseren beiden Kamera gemacht und alles war ohne Verluste gut gegangen, im Gegenteil, wir hatten viel dazu gewonnen.

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Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2009