GEH SCHICHTEN

 

Anhalter kommt von Anhalten und Weiterfahren

Zu meinen sehr persönlichen Einstellungen gehörte schon immer, ich dränge mich nicht auf und bevor ich jemanden um Hilfe bitte, muss ich selbst erst einmal nach denkbaren und leistbaren Lösungen gesucht haben – kurz- wie langfristig. Und darum war es mir auch eigentlich immer suspekt, ein Auto anzuhalten, und den Fahrer zu bitten, mich ein Stück des Weges mit zunehmen. Ich bin mit dieser Einstellung bis heute eher immer sehr gut gefahren. Bis heute sah ich erst einmal in der Situation, dass ich zu gerne einen Autofahrer um seine Hilfe beten wollte.Irgendwann im Frühsommer 1971. Noch war ich mit einem Praktikum im Pflegeheim in Alfeld an der Leine verpflichtet. Ich hatte mich mit meiner „guten Bekannten“ vom DRK-Kurs Monika in Wunstorf verabredet, da wo sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte. Mit dem letzten Zug des Tages wollte ich dann kurz vor Mitternacht in Alfeld eintreffen – um dann den eher blöden Weg den Berg hinauf zum Pflegeheim zu nehmen. Bis zum letzten Halt vor Alfeld ging alles klar. Und als ich dann meine Augen wieder aufmachte, fuhr der Zug schon wieder aus dem Bahnhof von Alfeld raus. So ein Schei.... Putzmunter war ich auf einmal. Der nächste Halt würde Freden an der Leine sein. Und dann? Mal schauen, ob es zufällig noch einen Zug nach Alfeld gibt, die Strecke ist so stark befahren... Angekommen, auf dem Aushangfahrplan nachgesehen – NIX, das war für diese Nacht der wirklich letzte. Also doch per Anhalter?, denn von 30Mark Taschengeld im Monat an ein Taxi zu denken, kam mir nicht mal im Entferntesten in den Sinn. Neben der Schienenstrecke führt am Bergrand der SiebenBerge eine Straße entlang, das wusste ich schon. Direkt nach Alfeld. Das erst beste sich von hinten nähernde Auto wollte ich versuchen zu stoppen, denn 12km nach einem Arbeitstag, nach dem Wunstorf-Tour und vor dem nächsten Frühdienst... Ich kann die folgenden drei Stunden kurz zusammenfassen: In Richtung Freden kamen mir vier oder fünf PKWs entgegen; in Richtung Alfeld fuhr kein einziges Auto. Die beiden Dörfer, durch die ich kam, waren stockdunkel und unten im Leinetal donnerten die schweren Güterzüge unentwegt in beide Richtungen. - Um sechs Uhr musste ich wieder in der Pfegestation auf der Matte stehen, das klappte auch, aber wie viele Streichhölzer mir da abbrachen, die meine Augen offen halten sollten, ich weiß es nicht.

Doch 2007 durfte ich es sogar
ganz anders leben. gewissermaßen:

Anhalter verkehrt

 

 

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Dersenow 2013