Wenn ein Taufstein erzählen könnte
Foto: (siehe unten)
von Christel Prüßner mehrfach veröffentlich
(im Kern identisch mit "Das Zeichen aus klarem Wasser")
Ich sehe ihn vor mir, den bunt bemalten großen Stein in der St.Vitus-Kirche. Ganz aus Sandstein gearbeitet, zwei Teile: ein breiter stabiler Fuß und das Becken darauf, beinahe wie ein Kelch - innen ausgehöhlt als Halbkugel. Außen in den Stein sind Bilder eingemeißelt, sie sollen die Schreiber der vier Evangelien darstellen als Symbole mit Symbolen. Dazu ein kleines Säulenwerk, als sei dieser Taufstein ein Tempel, ein von Menschen geheiligtes Haus! Und unter einem dieser Steinbilder die Jahreszahl 1643 (siehe nebenan).
Eine goldene Zahl inmitten der bunten Bilder - deren wichtigstes Jesus darstellt,
wie er sich in das Wasser beugt und von Johannes getauft wird.
So lange steht er nun schon da in der Kirche. Die Menschen haben damals sehr unter den
Auseinandersetzungen und den Folgen des 30jährigen Krieges leiden müssen -
alles war aus, alles war zerstört, in jedem der Häuser am Ort war mindestens
ein Familienmitglied umgekommen. Und doch will keiner aufgeben, es soll nicht
einfach aus und vorbei sein... Sie wollten Menschen zu ihrem Gott bringen, der
sie bis zu diesem Tag begleitet hatte - auch durch Trauer, durch Angst und
durch Freude und Fröhlichkeit.
Und genau vor diesem Taufstein steht dann im Sommer Friedrich-Wilhelm. Vor 69 Jahren war er im Nachbardorf geboren, wenige Wochen später hatten seine Eltern ihn in diese Kirche getragen, hatten um seine Taufe gebeten. Zusammen mit den Paten hatten sie versprochen, dass er bald erfahren sollte, warum er getauft worden sei... Und dann zog er weit in den Süden, baute sich ein eigenes Zuhause auf. Eines Tages begann er damit, die Geschichte seiner Familie zu erforschen, er blätterte in den alten Kirchenbüchern, immer weiter kam er zurück bis er schließlich im letzten Sommer das älteste Buch der Kirchengemeinde in den Händen hatte und die bis auf weiteres älteste Spur seiner Vorfahren fand. 1643 wurde in dieser Kirche an diesem damals noch sehr neuen Taufstein Heinrich-Friedrich getauft - Somit haben tatsächlich alle aus seiner Familie eine Spur dieser Taufe in sich, die an diesem Stein in der St.Vitus-Kirche geschah - bis heute.
Bei diesem letzten Besuch neben seiner Heimatkirche bat er mich, noch einmal in diese Kirche gehen zu dürfen. Ihm war klar, dass er wohl die lange Reise von Stuttgart nicht mehr schaffen würde. - Ich nahm den großen Schlüssel und begleitete ihn. Als er sich den Taufstein rundherum ansah blieb er wie angewurzelt stehen. Es war ihm bis dahin gar nicht klar, dass auch an diesem Stein das Datum 1643 zu finden ist. Er war den Tränen nahe und blieb stumm.
Währendessen kam ein anderer Mann in die Kirche mit den Worten: "Wie schön, dass ich auch mal eine offene Tür vorfinde!" kommt durch den langen Gang nach vorn zu uns beiden... und bleibt plötzlich stehen: Schaut sich den Gast aus Stuttgart an und sagt fragend: "Du hast doch vor Jahren im SC in Hemmingen auf der Position der Stürmer mitgespielt - Du bist der... Moment, ich komme gleich drauf...!" - ich konnte die beiden allein lassen. - Der Dazugekommene lag mit seiner Wahrnehmung richtig, nach beinahe 50Jahren trafen sich zwei da, wo sie beide die Taufe empfangen hatten.
Wenn der Taufstein erzählen könnte, wer hier schon gestanden hatte, wie jung oder wie alt die Täuflinge waren, wie arm oder wie reich die Eltern waren, wie fröhlich oder bedrückt all die Menschen waren...
Er würde erstaunliche Geschichten von Menschen erzählen, die mit wenigen
Tropfen eine Segens-Spur in sich aufnehmen durften!
zum Foto:
St.Vitus-Kirche (Hemmingen-Wilkenburg)
Foto: Chr.Prüßner. Hannover/Dersenow
Diese Kirche hatte während des 30j-Krieges dreimal eine umfangreiche Plünderung erlebt, weil ua. im Fußboden wertvolle Grabbeigaben vermutet wurden. Schließlich war die Kirche innen nur noch eine Ruine. Das erste was dann neu beschafft wurde war dieser Taufstein, in Auftrag gegeben bei einem damals sehr berühmten Steinmetz (J.Sutel) in Hannover. Der Krieg war noch nicht beendet, doch die Hoffnung war größer als die Angst. Erst danach wurden auch eine neue Empore und die dazu passende Kanzel in Auftrag gegeben. Den Altaraufsatz hatte man vermutlich "gebraucht" erworben, denn er passt nicht ganz auf den Tisch.