Eine
chinesische Parabel
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Version
2
Ein
alter Mann lebte in einem Dorf, auf den selbst Könige neidisch
waren. Denn er besaß ein wunderschönes weißes Pferd. Die
Könige boten phantastische Summen für das Pferd, aber er verkaufte
es nicht.
Eines
Morgens fand er sein Pferd nicht im Stall. Das ganze Dorf
versammelte sich und die Leute sagten: "Du dummer alter
Mann, was haben wir dir gesagt? Wir haben es immer gewusst, dass
das Pferd eines Tages gestohlen würde. Es wäre besser gewesen,
es zu verkaufen. Welch ein Unglück ist jetzt geschehen."
Der
alte Mann aber sagte: "Glück, Unglück, was ist das? Ich
sehe nur, das Pferd ist nicht im Stall." Die Leute lachten
den Alten aus. Sie hatten schon immer gewusst, dass er ein
bisschen verrückt war.
Aber
nach 14 Tagen kehrte das Pferd plötzlich aus der Wildnis zurück. Mit
sich brachte es 12 wilde Pferde mit. Wieder versammelten sich die
Leute und sagten: "Alter Mann, du hattest doch Recht. Was
für ein Segen!" Der alte Mann entgegnete: "Glück,
Unglück, was ist das?. Ich sehe nur, das Pferd ist mit 12
weiteren Pferden zurückgekommen. Ihr lest nur ein einziges Wort
in einem Satz. Wie könnt ihr das ganze Buch beurteilen?" Wieder
lachten die Leute ihn aus.
Der
alte Mann hatte einen einzigen Sohn, der nun begann, die
Wildpferde zuzureiten. Schon eine Woche später fiel er vom Pferd
und brach sich beide Beine. Wieder versammelten sich die
Leute: "Was für ein Unglück! Dein einziger Sohn kann nun
seine Beine nicht mehr gebrauchen; und er war die Stütze deines
Alters. Jetzt bist du ärmer als je zuvor!" Der Alte
antwortete: "Glück, Unglück, was ist das?. Ich sehe
nur, mein Sohn hat sich die Beine gebrochen." Die Menschen
wunderten sich.
Es
begab sich, dass das Land nach ein paar Wochen einen Krieg begann.
Alle jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise zum Militär
eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil
er gebrochene Beine hatte. Der ganze Ort war vom Wehgeschrei
erfüllt, weil man wusste, dass die Meisten nicht nach Hause
zurückkehren würden. Sie kamen zu dem alten Mann und sagten:
"Du hattest recht, es hat sich als Segen erwiesen. Dein
Sohn ist zwar verkrüppelt, aber immerhin ist er noch bei dir." Der
alte Mann antwortete wieder: "Glück, Unglück, was ist das?.
Ich sehe nur, mein Sohn ist noch bei mir."
Denn
nur Gott, der das Ganze überblickt, weiß, ob dies ein Segen oder
ein Unglück ist.
Version
3
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Es
war einmal ein alter Mann. Der lebte mit seinem Sohn in einem
Dorf und war Bauer. Eines Tages lief ihm ein Hengst zu,
so schön wie noch keiner gesehen wurde. Da riefen alle Dorfbewohner.
»Du Glücklicher, jetzt bist du reich!« Doch der Mann
sagte nur »Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, ich
weiß nur, dass dieser Hengst in meinem Stall steht.« Da hörte
der König von diesem Hengst und wollte ihn für einen Sack
Gold kaufen. Doch der Mann sprach »Ich kann ihn nicht verkaufen«,
und der König zog ab. Am nächsten Tag zog auch
der Hengst seines Weges. »Du
Unglücklicher«, riefen da die Dorfbewohner »Du hättest bis
ans Ende deiner Tage von dem Golde des Königs leben können.«
Doch der Mann blieb dabei: »Ich weiß nicht, ob es gut
oder schlecht ist, ich weiß nur, der Hengst ist weg.« Am folgenden
Vollmond kam der Hengst zurück und mit ihm eine kleine
Herde wunderschöner Pferde. Und wieder riefen die Dorfbewohner
»Du Glücklicher, jetzt hast du noch mehr Pferde!«
Der Mann wiederholte seinen Satz »Ich weiss nicht, ob
es gut oder schlecht ist. Ich weiß nur, dass der Stall jetzt voller
Pferde ist.« Tags
darauf ritt der Sohn des Mannes und fiel vom Pferd, wobei
er sich das Bein brach. »Du Unglücklicher«, riefen
die Dorfbewohner,
»jetzt ist Erntezeit, und wir haben keine Zeit, dir
zu helfen. Du wirst Hunger leiden.« »Ich weiß nicht, ob es gut
oder schlecht ist« sagte der Mann in aller Ruhe, »ich weiß
nur, dass mein Sohn ein gebrochenes Bein hat.« In der folgenden
Woche kamen Boten des Königs und sammelten alle
jungen Männer ein, denn es gab Krieg. Nur den Sohn des Bauern
konnten sie wegen seines Beines nicht mitnehmen. »Du
Glücklicher«, riefen da die Dorfbewohner, »wir werden unsere
Söhne verlieren, aber du wirst deinen behalten.« Da sagte
der Mann »Ihr lernt es wohl nie.«
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