Das sollte besser mit einer Mommographie abgeklärt werden

1999 will mir einiges rund um meinen Körper einfach nicht einleuchten. Nein, keine Schmerzen oder ähnliches, was Unwohlsein bedeuten könnte. Ich mache Beobachtungen und kann mir eher keinen Reim drauf machen. Und weil ich gerne auf alles eine Antwort haben möchte, was ich beobachte, belasse ich es nicht beim Beobachten.
Zu dem schon seit 1984 beobachteten diffusen und leicht ungewohnten und periodisch auftretenden Druckempfinden im Bereich der Brüste gesellt sich eine Art "Knubbel" auf beiden Seiten gleich groß tastbar. Der ohne Panik, sondern mehr aus purer Neugier von mir aufgesuchte Arzt wird erkennbar nervös, beschwichtigt aber selber seinen spürbaren Verdacht: "Das muss nichts zu bedeuten haben! Aber da sollte eine Mammografie vorgenommen werden!" Ohne weitere Aussprache wird der Überweisungsschein ausgestellt. - Immerhin; noch fünf Jahre vorher sagte ich meinem Hausarzt fragen: "ich habe das Gefühl, als würde sich mein Körper umstellen, irgendwie anders werden wollen!" Einzige Reaktion "Damit kann ich nichts anfangen!" (Übersetzt: Das interessiert mich nicht, kostet nur meine kostbare Zeit, die ich nicht bezahl bekomme!)

Ich verabrede mit dem Facharzt einen Termin und man stolpert mal wieder über meinen Vornamen... und bitte Warten, es sind nur Frauen an diesem Tag im Wartezimmer angesagt, man hat sich die Arbeit an den Maschinen offenkundig sachlich fachlich sauber eingeteilt und mein Vorname hat ihnen in der Praxis das Programm durcheinander gebracht:
"
Herr P., bitte zur Mammografie!" - es gibt keine Probleme bei den Aufnahmen - dann nach der nächsten Runde im Wartezimmer die erstaunlich umfangreiche und tatsächlich hilfreiche Auswertung von einem Arzt, der seine Anatomie kennt und eine gute Übersicht im Blick auf die statistisch bekannten Anomalien hat.
Doch der erste Satz hat es in sich: "Alles was eine Frau in dem Bereich benötigt, ist vorhanden!" [Gynäkomastie] er zeigt es mir im Detail und dann auch gleich die ungebetene Entwarnung "
und ich kann keine Knotenbildung oder ähnliches was auf CA deuten würden entdecken!" Dann die nächste Frage: "Haben Sie ein Leberleiden?!" - Leiden zwar nicht, aber eine offenbar angeborene Leberunterfunktion!... - Es sei erstaunlich, wie lange es bei mir dann gedauert habe, dass sich die jetzt von mir wahrgenommenen Symptome ausgebildet hätten... - setzt er voraus, fragt nicht, ob es vielleicht doch auch eine andere Sichtweise geben könnte.

 

Im schriftlichen Befund für den Herrn Kollegen werden dann neben dem o.B. auch andere Sachen stehen - die nicht(!) angesprochen wurden: "deutliche Neigung zu Adipositas" und "Empfehlung" auf Ausschluss-Untersuchung Prostata- und Hoden-CA.   - Mein Hausarzt kann mit dem ganz nichts anfangen. Er war ja auch nicht der, der mich überwiesen hatte - hätte er wohl auch nicht "wegen so'was!".

Und nun?
Ich weiß nun, dass meine diffusen Empfindungen der Veränderung eine nachträgliche Begründung haben, ich kann damit sogar endlich bestens umgehen - doch wird es auch in absehbarer Zukunft ein Kompromiss sein zwischen
- Annäherung an die Erwartungen von Außen und
- Abstriche bei dem Empfinden von innen!
Das ist genau genommen nicht fair. Denn wenn Du das Empfinden hast, dass Du in der nächsten Zeit dich besser in Deiner Haut fühlst, wenn Deine Haare zu einem Zopf geflochten erscheinen, oder dass dich der Ring durch die Nase authentischer erscheinen lässt, dann wird dein Verhalten mit einem modischen Auftritt in Überprüfung gebracht und zu 99% für angemessen oder gar angepasst eingestuft und somit akzeptiert. - Aber wie weit dürfen Menschen wie ich wirklich gehen?

Nach einer Bedenkzeit von knapp drei Monaten kann ich mir selber antworten: "Es wird sich zeigen, wie weit ich bereit bin, mich selber ernst zu nehmen!" Das, was ich als Defizit beschreiben könnte, hat nichts unmittelbar damit zu tun, dass ic eine angebliche Sonderrolle in der Geschlechterreihe einnehme, sondern ich kann solche Defizite darum eher erkennen, eher wahrnehmen. Und ich entdecke solche in ganz anderen Bezügen des menschlichen Miteinanders. - Im Klartext dargestellt: Wir Menschen in Deutschland leben von der gegenseitigen Erwartung, dass sich jeder an die Spielregeln hält, die ich denke, dass sie so vorhanden sein könnten. Nur wenige trauen sich aber nur einmal nachzufragen, wer diese Spielregeln wirklich kennt. Und schaue ich in die Modewelt (umfassend verstanden) dann kann ich nicht verstehen, wie fraglos inzwischen jede Torheit der "Erfinder" gerne übernommen wird, aber immer nur in den Grenzen, die von den "Erfindern" gezogen wurden, schreit aber kurz zuvor eine (selbsternannte, oder gesellschaftlich anerkannte*) Autorität gegen diese Erfindung und tituliert sie erkennbar als gegen die Spielregeln der Gesellschaft verstoßend, dann ist die Chance nahe Null, dass sie sich durchsetzt.

Die Ausprägung meiner Brüste stellt sich inzwischen so dar, dass unter sie einem Pullover nicht mehr zu übersehen sind. Denn die Körbchengröße "A" habe ich längst hinter mir gelassen. Der bei meinen öffentlichen Auftritten oft notwendige dunkle Anzug lässt diese Naturerscheinung auch nicht einfach unsichtbar werden, eher im Gegenteil. ...und mich stört es nicht im geringsten, dass ich darauf noch niemals angesprochen worden bin. Ich stelle fest, ich lebe damit und freue mich des Lebens und ich stelle mich nicht aus, also werde ich in meinem Sein als authentisch akzeptiert - was will ich mehr? - Und so wie ich das für mich selber sage, trifft es den Kern sehr genau: Ich erfreue mich an meinem Leben; der Blick in den Spiegel macht mich zufrieden und frei! Ich bin ein Mensch auf meinem kleinen androgynen Stern - schön ist es hier!

*) = BILD-Zeitung, Frauen-Illustrierten, POP-Kanäle im Fernsehn, neo-konservative Vordenker,


 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2009