GEH SCHICHTEN

 

WERBUNG IST ALLES?

Was ich hier erzählen möchte, spielte sich 1977 ab und macht mehr über die Zeit von damals deutlich, als es selbst damals den meisten bewusst werden wollte.

Zu meinen Vorbildern zählt ein beeindruckende Mensch aus der Zeit des Studiums. Den besonderen Eindruck hatte er damals (1971) dadurch bei mir hinterlassen, dass er als Dozent im Fach „Verwaltungskunde“ ganz nebenbei erwähnte; dass es für die Menschen, mit denen wir zu tun haben oft hilfreicher ist, wenn wir die Ver(w)altungsvorgänge nicht nur vereinfachen, sondern auch so weitestgehend wie irgend möglich überflüssig machen. Das ist eine nette Theorie, vor allem wenn ich davon jetzt im Jahr 2010 erzähle. Befragt von uns Studenten, ob das nicht auch ein Stück weit pure Illusion sei, gab er ein faktisches Beispiel zurück, und das begann mit den Worten „ich habe mich einfach selber für überflüssig erklärt und meinen gesamten Arbeitsbereich in einem anderen Umfeld viel besser aufgehoben gesehen!“ Die Folge für ihn war zunächst, er musste sich einen neuen Arbeitsplatz suchen – mit Erfolg!

Leider finden solche Menschen in den meisten Fällen eher nicht den richtigen Hintergrund, aus dem heraus sich eine Bewegung entwickeln könnte. Sein Fazit im Blick auf Verwaltung war „Verwaltung soll helfen – und wir Menschen, die mit Verwaltung zu tun haben, sollen den Menschen, die uns begegnen nicht im Wege stehen, sondern ihnen behilflich sein!“ Dass es funktioniert, hatte er dann auf seinen neuen Posten auch später noch bewiesen. Kurz: Ich konnte erleben, seine Rede machte Sinn – aber sie interessiert eher gar keinen - wirklich nicht. Und wer sich nach diesem Prinzip bewegt, kämpft eher für sich allein – wenn auch mit einem guten Gefühl.

In meinem damals ersten beruflichen Wirkungskreis gab es ein grundlegendes Problem, das sich aus der Boomzeit der Nachkriegsjahre und der damit einhergehenden Mobilität der Menschen ergab. Die kleine Kirchengemeinde Wilkenburg (südlich von Hannover) erlebte dieses in mehreren Schritten mit Auswirkungen bis heute. Nachdem Anfang der 1970er Jahre sich das gewaltig gewachsene Nachbardorf Arnum (von 600 Einwohnern 1943 auf 6.000 im Jahr 1975) als Tochter ganz fix als eigene Kirchengemeinde von der Mutter in Wilkenburg gelöst hatte, zeichnet sich mit dem auch zum Kirchspiel gehörenden Dorf Hemmingen eine ähnliche Notwendigkeit ab. Denn die Menschen dort konnten nicht einsehen, dass ein scheinbar simpler Verwaltungsunsinn Ihre Kirche nicht am Marktplatz in Westerfeld sein ließ, da wo sie ihren Einkauf tätigten, sondern hinter den Maschwiesen der Leine, die zudem zwei Mal im Jahr durch das Hochwasser des Flusses Leine den Weg eher unmöglich machte. Es waren dann nur noch die „Ureinwohner“, die der Tradition folgend nicht verstehen konnten, was die Neubürger denn damit für Probleme hätten.

Auch wenn mir klar war, dass eine Abspaltung dieses Ortes hin zu der ortsnäheren Kirche am Marktplatz meine eigene Stelle plantechnisch überflüssig machte, so war es nicht vertretbar, an dem althergebrachten Zustand festzuhalten - aus Eigennutz- 

Aber was sollte ich dann machen? Eine scheinbar(!) interessante Lösung war scheinbar(!) gefunden, eine kleine Planungsgruppe unter Beteiligung der für meine Berufsgruppe von der Landeskirche beauftragten Diakonin. - Verwaltung sollte sich nie zu einem Selbstzweck entwickeln. Aber das ist bis heute eine biotop-verdächtige Einzelmeinung in der Praxis geblieben. Die kleine Planungsgruppe traf sich und die abgesandte Kollegin saß zunächst untätig dabei – ihre wirkliche Möglichkeit sich zu betätigen oder hilfreich einzubringen, offenbarte sie erst einige Jahre später. Darum waren wir übrigen nur über die eher gegen NULL tendierende Hilfe von dieser Person überrascht.

In der Runde wurde schnell klar, Bedarf an meiner Arbeitskraft war vorhanden, in zwei höchst unterschiedlichen Orten (Kirchengemeinden) brannte es den Pastoren unter den Nägeln, wenn sie an das Stichwort "Arbeit mit Jugendlichen" dachten. Einer von Ihnen beschrieb es drastisch und wohl auch vollkommen ehrlich „Ich werde mit dem Problem überhaupt nicht fertig!“ - Allerdings gab es ein „Problem“ auf meiner Seite: In meiner Ausbildung hatte ich den Schwerpunkt der gewählten Seminare auf das damals noch recht neue Feld Gerontologie und Seelsorge gelegt. Jugendarbeit war wirklich nicht mein Ding und schon gar nicht in einem Brennpunkt.

Die beauftragte Kollegin der Landeskirche saß dabei und staunte und wollte wissen, was ich denn in den vorausgehenden fünf Jahren seit dem Examen gemacht hätte. Und was ich mir den vorgestellt hätte, dass ich in Zukunft tätig werden sein könnte. - Ich hatte eine Senioren-Begegnung mit ökumenischen Hintergrund auf dem Lande aufgebaut. Und auf dieser Basis wollte ich gerne in einem anderen örtlichen Bereich tätig werden. Der Kreis-Sozialarbeiter hatte im Zusammenhang mit einer flächendeckenden Erhebung längst die Notwendigkeit für solch ein Arbeitsfeld beschrieben und als Hilferuf in einer Kirchenkreis-Konferenz vorgestellt. 1977! Der Bedarf war seitens der Pastorenschaft überdeutlich signalisiert.

Davon habe ich ja noch nie was gehört! - Warum habe ich denn davon nie etwas in der Kirchenzeitung (damals noch "Botschaft“, heute „Evangelische Zeitung“) gelesen!“ und vor allem „solche Stellen gibt es in der ganzen Landeskirche noch gar nicht!“ - Letzteres stimmt überhaupt nicht. Mir persönlich waren zwei weitere ähnlich gestrickte Stellen im Norden Niedersachsens bekannt; von der Landeskirche damals genehmigt!

Davon wusste sie nichts, weil es nicht in der Zeitung zu lesen war. - Das war im Sommer 1977.
Heute (September 2010) habe ich dazu ein von mir schon länger gepflegte, geflügeltes Wort: „Plakat-Kirche“. Hauptsache es steht was auf den Plakaten. Was sich wirklich dahinter verbirgt, das überprüft ja schon lange keiner mehr.

Aber genau dieser Ausruf hat mich seit 1977 für den Umgang mit Plakate und überhaupt mit Medien sehr hellhörig werden lassen. Und meine „Bewährungsprobe“ genau zu diesem Thema erfuhr ich dann für fast 30 Monate in dem kleinen Städtchen Fürstenau! - und ich klopfe mir mit Eichenlaub gerne auf die Schultern. Ich habe diese Probe dort mit recht viel Erfolg bestanden – es haben etliche umgelernt – auch im Umgang mit der Öffentlichkeit! - Der Unterschied dort ein winziger: "Die Presse interessiert sich für das, was Ihr tut!" sagte mir ein Reporter, "es ist nicht gut, wenn Ihr uns sagt, was wir für interessant zu halten haben!" - Das Ergebnis war verblüffend und vielfältig! (das Ergebnis siehe hier)...

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010