GEH SCHICHTEN

 

Wo eigentlich liegt dieses Hannover?


Das sind die Fragen, die man nicht für möglich hält und wir als überzeugte Hannoveraner schon mal gar nicht. Wir hatten schon Messegäste aus Spanien, Ungarn, Tschechien, Malaysia bei uns zu Gast, sie kamen wegen der weltbedeutenden Messen im Frühjahr in dieses Dornröschen der Vorurteile. - Und diese Qualifizierung darf durchaus gründlich untersucht werden! Denn wenn die Medien objektiv in ihrer Berichterstattung sind (über die Zweifel in dieser Sache denken wir später mal nach!), dann gibt es nicht nur in der Außensicht ein sehr komisches Hannover-Bild, sondern es hat sich durch beständiges Einhämmern von selbst ernannten Marketing-Bolzen schon in die Gene vieler hier Geborener eingenistet. - Vermutlich spricht man darum auch von einer „indigenen“ Bevölkerungsgruppe?


Es mag sein, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die amtlich dafür bezahlt werden, sich für Dumm verkaufen zu lassen und die von dieser Stadt nichts anderes als altbackene Dummheiten zu verteilen. Erinnert sei da nur an die teilweise verblödet wirkende und halbherzige Werbung für die EXPO2000 - Dümmer ging es wirklich nümmer und es war noch nicht mal wirklich „luschtig“...

1999 - ein Jahr vor dem Mega-Event - jau, was auch immer das wieder sein könnte - im Süden Hannovers hatten wir beide wirklich seltsame Hannover-Erlebnisse an und hinter den Grenzen dieses Landes.

Im Spätsommer - oder Frühherbst? das ist Ansichtssache - erlebten wir unsere Haupturlaubstage im sächsischen Vogtland, in Adorf. Das hat mit Hannover nichts zu tun, tscha, das dachten wir auch! - Und wir kommen auf den Bahnhof der Stadt und sehen einen Triebwagen der Firma „Vogtlandbahn“ - boah, Hannover ist schon im Blickfeld. - Darauf die Zugbegleiterin angesprochen, „das ist ja echt schön, dass sie hier für Hannover Werbung machen!“ - wie wo, welche Werbung und überhaupt Hannover? - sie wusste „von nix nüscht“ - da prangte vorn wie hinten am Triebwagen auf beiden Seiten (also gleich vier Mal!) ein riesiger Aufkleber („Oufbabscher“), dem zu entnehmen war, dass die Züge der Vogtlandbahn als externes EXPO2000-Projekt von Bayern durch Böhmen nach Sachsen fahren und damit eine der Expo-Ideen aufnehmen und vorführen („Mensch, Umwelt, Technik“) - „daavoon wees ich nichts! - was haben wir mit Hannover zu tun? - da werd ich mein Lebtag nie nich hinkomme, wo liegt das denn überhaupt? - ach, im Westen, na denne ist es mir eh wurscht!“ - Auch unsere Gastgeber für die Urlaubstage hatten von alle dem keine Ahnung, „was sollen wir schon in Hannover?! - ich wüsste nicht mal, wo das genau liegt!“ - da kommt dann doch die ganze Welt „ja, wenn Sie das sagen! - Vielleicht nach Berlin oder München, grad noch so Hamburg, aber Hannover?! - da sind wir mal auf der Autobahn dran vorbei gefahren, stand jedenfalls auf den Schildern, gesehen haben wir ja nichts!“

Gib's auf!

Im selben Jahr war für den Dezember mal wieder eine Extra-Tour eingeplant. Dieses Mal sollte es anlässlich meines 50ten Geburtstag mit dem Zug nach Tirano gehen. Jetzt fragt der lesende Mensch, „wo liegt denn das?“ oder wenn es ganz heftig kommt, wird auch noch nach der Hauptstadt von Albanien gefragt, nein, die heißt in unserem Sprachgebrauch - jetzt fällt es Dir auch wieder ein: Tirana. Tirano ist eine scheinbar eher unbedeutende Stadt im Norden Italiens, genau an der Grenze zur Schweiz. Das Veltlin mündet genau bei Tirano in das Val Pociella. Aber diese Stadt sieht nahezu jeden Tag für einen ganz kurzen Moment ganz viele Menschen aus aller Welt - darunter auffallend viele Menschen aus Japan. Sie kommen mit der Rhätischen Bahn von St.-Moritz oder gar schon von Chur herüber, haben die Gletscherwelt des Bernina an sich vorbeiziehen sehen und steigen nun in einen Bus, der sie zum nächsten Highlight bringen wird. - Sie werden von Tirano vielleicht noch die imposante Wallfahrtskirche im Vorbeifahren sehen und darüber das Wein-Kirchlein am steilen Hang, aber von der Altstadt nichts!

Wir jedoch hatten dort schon zweimal für einige Nächte Quartier in einem kleinen Hotel der Altstadt, direkt an einem wild rauschenden Fluss. Der Wirt konnte dieses Mal schon bei unserem Eintreffen mit uns etwas anfangen. Sein Englisch eine genausolche Katstrophe wie bei uns, unser Italienisch war genauso wenig Wert, wie seine winzigen Brocken Schweizer Deutsch! - Und trotzdem haben wir uns von ihm erzählen lassen können und er sich von uns - man muss es eben nur wollen - gegenseitig! - Und dieses Mal war es der Abend vor der Heimreise. Es sollte früh mit dem ersten Zug losgehen, über den Bernina, über den Albula und dann irgendwo hinter Chur im Speisewagen bis Basel, das Festmahl zum 50ten genießen - hat alles genau gepasst - bis Basel, dann kam die Deutsche Bahn AG (aber lassen wir das hier!).

Es hatte unseren Gastwirt wohl schon die ganze Zeit unter der Zunge gejuckt, und er holte extra aus der Mappe die amtliche Anmeldung heraus und zeigte auf den Heimatort unserer angegebenen Adresse „annovär“ - wo liegt eigentlich Hannover? - Du kennst Hannover nicht? - „no no!“ - In dem Moment fährt draußen im Halbdunkel ein VW-Bus vor. Passt, denke ich mir und versuche ihm klar zu machen, da wo das Auto gebaut wird. - das war ihm schon klar, dass wir aus Deutschland kommen, wie das Auto da, aber mit einem Ortsnamen brachte er das nicht in Verbindung. - Liegt Hannover den eventuell und vielleicht in der Nähe von Berlin? - schluck trocken runter - nein auch, wirklich - auch wenn ich schon damals schneller mit dem Zug von Hannover aus den Ku-Damm in Berlin erreichen konnte, als meinen nur 35km vom Hbf entfernt liegenden Arbeitsplatz - aber Berlin half auch eher gar nicht weiter! Immerhin lag aus seiner Sicht auch nicht Neapel bei Rom, - Neapel ist doch bekannt genug! - eben drum, das dachte ich von Hannover bis dahin auch! - Oh, die Lösung stand gewissermaßen hinter ihm. „Jägermeister“, eine riesige Flasche, nur noch halb gefüllt! - Gut, der kommt nicht unbedingt aus Hannover aber immerhin liegt Wolfenbüttel gewissermaßen vor der Haustür, Denn Wolfsburg war ihm auch kein Begriff. Er holt die Flasche vom Brett, dreht sie um und liest vor „producet by Milano“ - oh nee näch?!! - Nun versucht er seine geografischen Kenntnisse auszuspielen und seine Augen leuchten auf, könnte es sein, dass Hannover bei Hamburg liegt. Jau, meinetwegen, von Hannover mit dem Zug 90 Minuten nach Norden ist Hamburg, genehmigt - und er freut sich - Hamburg an der Nordsee, - Und dann versuchte ich eine allerletzte winzige Deutung, in der Hoffnung, dass die grausam maue Werbekampagne für die kurz bevorstehende EXPO2000 endlich außerhalb Deutschlands angelaufen ist. Und ich weise auf das Großereignis hin. In Hannover gäbe es im folgenden Jahr die EXPO - jetzt verstand er gar nichts mehr Hannover nahe bei Hamburg an der Nordsee und doch in der Schweiz? - alle zwei Jahre findet dort eine große EXPO eine Export-Messe statt, die kannte er, da kannte er sogar das Datum für das Jahr 2000.

Wir haben uns vorgenommen, sollte es eine nächste Begegnung mit diesem Gastwirt in Tirano geben, werde ich eine Europakarte im Gepäck haben, der soll mir mein Hannover wenigstens richtig zuordnen können, auch wenn ich da vielleicht bald nicht mehr wohne!

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010/2012