GEH SCHICHTEN

 

Über Grenzen gehen

Für mich sind Grenzübergänge seit 1963 (da war ich 13 Jahre alt) immer eine Mischung aus Mystik, Bange und Gänsehaut gewesen. Damals zogen wir von Niedersachsen bis an die dänische Grenze. „Zollgrenzbezirk“ stand auf dem Orteingangsschild - etwa ganz besonderes, dass aber auch meine Eltern erst einmal kennen lernen mussten und mir darum nicht erklären konnten. Und dann die Einladung eines mit uns bekannt gewordenen Ehepaares mal nach Dänemark zu Buttereinkauf zu fahren. - Was ist eigentlich eine Grenze? Kann man „Grenze“ sehen, wie einen Gartenzaun. Die Theorie der Zonengrenze sagte mir wenig, da war was diffuses von Zaun und der damals grad noch neuen Mauer in Berlin. Und von jener Grenze wurde mit Respekt gesprochen, auch mit einer spürbaren Portion Wut im Bauch.

Und nun sollte es auf der B5 über Süderlügum nach Tondern gehen... Grenze! Böglum? Von dem Dorf war nichts zu sehen, „zu weit ab“ von der Hauptstraße. Dann ein Schild, ein ziemlich großes und da waren die zwei drei kleinen Häuschen, Uniformierte wollten die Papiere meiner Eltern und unserer Reisegastgeber sehen, das ging aber irgendwie alles an mir vorbei, kaum ein Minütchen gefahren, wieder die gleiche Prozedur, aber nun sprach uns jemand mit einem seltsamen Dialekt an, wo her sollte ich nach so kurzer Zeit Dänisch kennen? In Nordfriesland sprachen die ja auch so einen seltsamen Zungenschlag! Und weiter ging die Fahrt – aber nicht viel weiter, zu einem großen Parkplatz, der schon reichlich gefüllt war... das war Tondern, nee, das war einfach nur ein ziemlich großer Laden und es ging eigentlich um die billige dänische Butter. Und wir aus dem „Zollgrenzbezirk“ durften sogar mehr davon mitnehmen, als die anderen von etwas weiter her. Aber warum dieser Umstand, dieser Aufwand, mit dem engen Käfer, fünf Leute hin und wieder zurück, alles nur für Butter! Irgendwann habe ich dann begriffen, es muss auch um Zigaretten gegangen sein, aber das bekam ich irgendwann später nur mal so ganz nebenbei aus Versehen mit. Und wo war nun die Grenze? - Irgend wo zwischen den beiden großen Schildern an der Straße.

Wenige Jahre später, wieder zurück in Niedersachsen, nun in Wolfsburg, fuhr ich mit dem Rad auf der B188 zur Grenze. Zaun, ganz viel Zaun, irgendwo hinter dem alten eher symbolischen Schlagbaum des Bundesgrenzschutzes. Mitten zwischen den Zäunen kann ich Männer in Uniform erkennen, sie haben sich versuchsweise „versteckt“ und einer von ihnen schaut zu mir mit dem Fernglas herüber. Ich versuche das inzwischen dazu gelernte in Überprüfung mit dem nun Vorgeführten zu bringen. Es bleibt dennoch irreal. Einige Wochen später fahre ich mit dem Rad bis kurz vor Oebisfelde und sehe die schwer bewaffneten auf der Brücke, den Drahtzaun-Schlauch, die viel zu vielen Weichen. Und es will mir einfach nicht einleuchten, welchem Zweck dieser überdrehte Gartenzaun dienen soll, soll ich nicht rein kommen, sollen anderen nicht raus kommen dürfen. Ich kenne mein erweitertes Schulwissen, was ich vorfinde, stimmt mit dem erlernten überein. Aber ich kenne auch den „Sender 905“ und den „Soldatensender“ und weiß längst, dass die von da drüben die Musike senden, die man sonst nur auf BFBS zu hören bekam. Und die erzählen mir was von Reisefreiheit und netten Menschen... Noch im selben Jahr bin ich eingeladen, mit einer Erwachsenengruppe nach Berlin zu fahren – Fahren? - nein, fliegen, - das ist billiger, wegen der Grenze und geht schneller, wegen der Grenze und es können alle mir, die wollen, einigen dürften sonst nicht mit, wegen der Grenze, sie sind „Geheimnisträger“. Und so erlebe ich die Grenze von oben. Sie ist wirklich zu erkennen. Auf der einen Seite sind die Äcker in kleine Parzellen geschnitten und auf der anderen Seite sind es riesige Flächen. Und am Sonntag beim Rückflug, lässt sich aus dem Flugzeug die Grenze mitten durch Berlin ausmachen. Eine superhelle Lichterlinie führt mitten durch zwei Lichterflächen. - die westliche Fläche nahezu geschlossen angenehm hell. Man kann den Grunewald als Ausschnitt ausmachen und auf der östlichen Seite ist alles sehr viel schummriger und je weiter nach Osten um so dunkler. Während Westberlin ringsherum abrupt abbricht, verfließt das Licht von Ostberlin mehr und mehr.

Wieder müssen einige Jahre vergehen, bis ich das erste Mal einen Grenzübergang an mir erlebe. Eine Studienfahrt wieder nach Berlin mit einem privat vorbereiteten Treffen von Studenten des gleichen Fachgebietes in Ostberlin. Ich hatte mich auf etwas vollkommen unbekanntes eingelassen. Im Bus nach Berlin – Transit, harmlos – wurden wir informiert, und dass der Kontakt wohl zustande kommen könnte... man erwarte in Berlin noch einen Anruf. Tagsdrauf sollte schon die Tour nach „Drüben“ stattfinden. „Treffpunkt ist die Brücke gleich am Bahnhof Friedrichstraße“ - wie meinen? - ganz leicht zu finden! Und wie finden die uns? „keine Sorge, wir fallen immer auf!“ - Und dann Bahnhof Friedrichstraße – runter vom Bahnsteig – VOLL, super voll - es geht nur schleppend die Stufen herunter, das neue Besuchsabkommen für die Berliner hat gegriffen und zeigt seine Auswirkungen. Aufteilen in die richtige Abteilung „Bürger der BRD“ „Bürger aus Westberlin“ und irgendwie gab es da noch eine dritte Abteilung, gewissermaßen der Rest. Pass abgeben und nun höllisch aufpassen, wenn der eigene Name aufgerufen wird. Die Lautsprecher sind zwar laut aber was aus ihnen herauskommt ist nur noch geschmeichelt mit dem Attribut „Krächzen“ zu umschreiben. „warst Du das eben?“ „kann nicht sein, wäre viel zu früh“ - aber irgendwann ist man dann dran. „kommen Sie doch bitte mal mit – nehmen Sie bitte Platz und leeren Sie bitte sehr ihr Taschen!“ - na Klasse, mit meinem kleinen Taschenkalender verschwindet der betont schlicht freundliche und dennoch auch cool sachliche Mensch in Uniform, kommt nach 20 Minuten wieder, stellt blöde Fragen, „Was wollen Sie in der 'Hauptstadt der DDR'?“, - was will ich hier? Gucken, schauen, sehen, Museumsinsel, Alex, einfach mal schauen, ich kenne die Stadt doch noch gar nicht. Irgendwie kommt er bei mir nicht weiter, er blättert wieder und wieder in meinem winzig kleinen Kalender, der wohl nicht wirklich informativ für ihn war. Und dann steht er auf, gibt mir das Büchlein, weist mir die Sicht und den Weg zu Tür, „Ich wünsche einen schönen Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR!“ ich bedanke mich freundlich und dann nach einer recht kurzen Luftholpause noch mal der Uniformierte „und grüßen Sie bitte Ihre Kollegen in Weissensee!“. Ehrlich, ich hätte nicht mal auf Nachbohren etwas von Berlin-Weissensee sagen können, denn wir waren an der Spreebrücke beim Bahnhofs Friedrichsstraße verabredet, Unsere „Geschwister“ wussten nur, dass wir kommen und wie viele wir am Ende sein müssten! Für jeden aus dem Westen war ein Student aus dem Osten anwesend, um sich seiner anzunehmen! Keine Namen, kein Aussehen, nichts. Und die Leute aus Weissensee hatten sich nur verabredet, dass wir am Nachmittag auch noch kurz zur Schule fahren könnten, mit der S-Bahn... Das alles musste dieser Mensch in Uniform schon längst gewusst haben, auch dass ich zu dieser Truppe da gehören würde.

Drei Jahre später erlebe ich meine wirklich erste Fernreise mit dem Zug – nach Spanien; Drei Mal mit dem Zug über eine Grenze, Schweiz, Frankreich, Spanien und ich habe nichts davon mitbekommen, habe geschlafen – werde bei der Hin- noch bei Rückfahrt war da irgendjemand der Papiere sehen wollte oder uns „filzte“...

Aber dann einige Jahr später eine wirkliche Verblüffung auf meiner Seite. Fahrt nach Südtirol, mit dem Zug. Alles verläuft für uns reibungslos. An beiden Grenzen, wie gewohnt. Im Bahnhof Brenner stehen die vertrauten Uniformierten aus Österreich und Italien. Der Zug hält mit unserem Wagen genau vor ihnen. Sie brauchen nur die Tür aufmachen. Mit geht noch durch den Sinn: wie immer , pflichtbewusster kurzer Durchmarsch durch ein Viertel der Wagen und dann muss der Zug ja auch schon weiter fahren. So ging das bei all den Reisen vorher. Aber nicht dieses Mal. Die Vier schlendern nicht scheinbar gelangweilt durch den mit Koffern überfüllten Wagen, sondern sie haben es eilig, steuern den schmalen Gang entlang, genau auf mich am Fenster zu, schieben die Abteiltür auf, einer stellt sich vor einem unserer Mitreisenden, bittet auf italienisch um die Papiere – Prego! aufstehen, Handschellen und raus aus dem Zug. Der nun Abgeführte saß schon seit München mit bei uns um Wagen, keiner sonst. Woher wusste man am Brenner, wo der Gesuchte zu finden ist? Er stieg nicht wieder ein in den Zug, wir fuhren ohne ihn weiter!


Grenzen können durchaus auch etwas komisch an sich haben. Besonders wenn man sich ihrer eigentlich gar nicht bewusst wird. Zum Beispiel im sächsischen Vogtland: Ein Fahrt mit dem Zug von Adorf nach Cheb (früher „Eger“) da fährt man drei mal nach Tschechien hinein zwei mal wieder heraus, vielleicht sieht man grad den kleinen Grenzpfahl im Grünen, mehr aber auch nicht. Aber es geht noch seltsamer: Bayrisch Eisenstein, ein kleines Grenzdorf im Bayerischen Wald, östlich von Zwiesel, mit einem riesigen Bahnhofsgebäude, die eine Hälfte gehört zu Deutschland und die andere zu Tschechien. Mitten durch Bahnhofshalle, quer über die Bahnsteige verläuft die Staatsgrenze. Und seit einigen Jahren gibt in diesem alten ehrwürdigen Bahnhof (schon weiter über 100 Jahre alt) eine sehr gut gemachte Waldausstellung, die auf die Besonderheiten des Bayerrischen und des Böhmer Waldes hinweisen und informieren soll, immerhin ein sehr großes Naturwaldgebiet. Vor zwei Jahren waren wir da, Anfang Dezember, absolut keine Saison, ganz Eisenstein ist zugeschlossen, kein Gasthaus auf, kein Laden, selbst das Eisenbahnmuseum im alten Lokschuppen und auch die schöne Glasbläserei – alles zu! Und dann schauen wir uns eben diese Waldausstellung an und staunen, gehen von einem Eckchen zum anderen und dann noch ein Gespräch mit der diensthabenden Mitarbeiterin – fertig! Wir gehen zur Tür, wenige Treppenstufen abwärts, wollen vor der Abfahrt des Zug noch ein wenig Bummeln und „Die Papiere bitte!“ auf feinstem Bayerisch mit dem grad so gelungenen Hochdeutsch mitten drin... - „Was bitte?!“ - „Ja, Personalausweis oder Pass bitte, sie reisen grad von Tschechien kommend in die Bundesrepublik ein!“ -- und ich wollte gar nicht nach Tschechien war schon längst dort angenommen. Ich hatte auch gar keine aussagekräftigen Papiere dabei, nur die Bahncard. Ich habe doch nur den Bahnhof da – in Deutschland – betreten und bin grad da wieder heraus gekommen – „aus Tschechien!“ --- „Du, des passt scho!“ sagt der eine zum anderen Grenzschützer (Bundespolizisten), „die beiden sind heut früh mit dem 10 Uhr Zug gekommen und nach Eisenstein nunter gegangen!“ - Grenzen können schmeichelhaft unheimlich sein!


Ich muss aber auch an die Grenze zur DDR denken, die uns ab 1986 zwei Mal im Jahr manches Mal viel Zeit kostete, für nichts bis noch weniger! Wir reisten per „kleiner Grenzverkehr“ zu einem Städtchen in Mecklenburg, mal mit dem Zug, mal mit dem Linienbus. Manch ein „Wessi“ hatte da schon seine Bauchschmerzen, wenn das erste „Organ“ den Bus betrat, „die Reisedokumente bitte bereit halten!“ Einreisegenehmigung, Deklarierung des Eigentums. Geld, Wertgegenstände und eine Deklarierung der dauerhaft einzuführenden Gegenstände, nur als Geschenk geeignete Ware war erlaubt. Was dazu zählt, und was nicht, das bereitete manchem schon Kopfschmerzen. Und dann sehen wir bei der Einreise im Sommer 1989 eine Sitzreihe vor uns den Rücken einer Frau, uns unbekannt, aber sie war erkennbar aufgeregt, nervös, die Zettelwirtschaft in ihrer einen Hand flatterte im Takt ihrer Nerven. Und da lese ich auf einmal Zieladresse für die mitgenommenen Geschenke: „Eva & Heinrich Müller, Bdorf, Bergstr. 3“ [Name usw. hier vollkommem verändert] - schau da, sage ich zu meiner Frau neben mir, die will zu den Müllers, mit denen sind doch morgen auch verabredet! „Woher weißt Du das denn?!“ und ich zeige auf das Papier „vor unserer Nase“ – eine Armlänge entfernt. Und beim Aussteigen am Markt des Zielortes spricht mich besagte Frau an, bittet um tragende Hilfe... gerne! Was ich dann am Bürgersteig quittiere mit dem abschließenden Gruß „und schönen Gruß an Müllers, in der Bergstraße!“ - „Ja, werde ich machen“, reagiert sie noch und ist schon verschwunden. - Am nächsten Tag sind wir bei den Müllers, wie verabredet, und nach dem kleinen Start-Plausch über „Gott und die Welt“ fragt die Frau des Hauses ganz unvermittelt „sagt mal, seid ihr auch gestern mit dem Bus gekommen?!“ - ja, wieso – wie doch fast immer! „ach, dann ward ihr das! Ihr habt der Liesel aber vielleicht einen Schrecken eingejagt, und sie dachte, da wäre Stasi mit an Bord gewesen! Aber woher wusstet Ihr, dass die Liesel zu uns kommen wollte, kanntet Ihr die schon vorher?“ - Wie meinen? - Die Grenze, das undurchdringbare Wesen. Wir kennen die Liesel bis heute nicht, wir sind uns auch nicht wieder begegnet. Und so hat sie erst Wochen später per Postkarte von den Müllers erfahren, wie sich das mit der Stasi im Bus hinter ihr wirklich verhielt.

Und schließlich die letzte wirklich seltsame Grenzgeschichte in dieser Reihe, die genau noch zu dem vorausgehenden Ereignis gehört. Nun aber die Rückreise. Drei Tage später, ein Montagmittag! Zuvor muss denen, die sich mit „früher und DDR“ nicht so auskennen noch erklärt werden: Wer in der DDR zu Gast war, musste sich noch am Anreisetag bei der VoPo (Volkspolizei) am zuständigen Ort anmelden, man kam einen Stempel und dazu ein zweiten und vielleicht auch noch einen dritten usw. man musste nachweisen, dass man für jeden geplanten Anwesend-sein-Tag in der DDR sein Eintrittsgeld pro Person „umgetauscht“ hatte, das durfte man aber auch nicht zurücktauschen, musste es ausgeben oder einfach in der DDR lassen. Wir sind fleißige und strebsame Menschen und wollen keinem Scherereien machen, gehen also zur VOPO am Marktplatz, alles geht wie gewohnt Zack-zack, Stempel da und dort – was ordentlich Krach machte. Und schon war alles vorüber... Dann Tage später die Ausreise, Busfahrt – kurz vor dem Sperrbezirk (ca 5km vor der eigentlichen Grenze!) eine eigene Kontrolle, Papier sollen gezeigt werden, die berechtigen, diesen Sperrbezirk betreten zu dürfen. „Ist das Ihr Pass?!“ wird meine Frau gefragt, aber ja doch, „ist das wirklich ihrer?“ hin und her gewälzt gegen das Licht gehalten und dann zurück an meine Frau gegeben und dazu die Worte: „Naja, fahren Sie man weiter, sie werden schon sehen, was passiert?!“ - häää? - es folgen die bekannten 5km am Zaun entlang, hinter dem die Hunde sichtbar kleffen und an langen Führungsketten über sich unentwegt den Zaun entlang liefen... Was mag der da eben gemeint haben? - Wie immer, vor dem ersten „echten“ Zollhäuschen, fährt der Bus auf einen Wendeplatz, hier endet die Fahrt für den VEB-Reisedienst und genau neben uns steht mit bereits offenen Türen, eine Bus der westdeutschen Liniendienst HVV, umsteigen. Keine fünfzig Meter Fahrt, Schlagbaum, Grenzschützer der DDR stellt sich an die Einstiegstür vorn beim Fahrer, der macht auf. „Was ist'n nun schon wieder?“ ist die bissige Frage des Fahrers. Oh!, so ein schnoddriger Ton, hier? - oh, ist der aber mutig, geht es uns durch den Sinn! „de Pappüre bütte“, sagt der Uniformiert wirklich höflich und ohne Unterton; darauf der Busfahrer aus Hamburg, nun schon etwas wärmer gelaufen: „Hör zu! Ich bin vor sieben Minuten bei Dir durch, seitdem hast Du die Schranke noch nicht einmal wieder bedient, ich bin immer noch der selbe, also mach die Schranke hoch!“ und das passierte dann auch! Öh!!! Was geht denn hier ab?? Dann die Pass- und Warenkontrolle. Es ist wenig los! Die Tür vorne ist schon geöffnet. Zwei Uniformirte kommen auf den Bus zu, einer ruft rein, „bitte die Kofferraumklappen und den Tankverschluss öffnen!“ wie immer, den Spruch kannten wir schon - es ist nur eine kleine unbedeutende Körperbewegung, man merkt dem Fahrer an, wie lästig ihm das ganz da ist und dann eine uns ganz neue Reaktion - knapp und kurz zurück zu den Uniformiert ohne jeden überzogenen Respekt: „Macht's selber, ist noch der selbe Bus, wie eben!“ kurz und gut, sie machten es nicht selber, gingen wieder von dannen, „und nu?“ da staunte selbst der Buslenker über das Ergebnis und nach zwei drei Minuten, „dann fahrn wie eben weiter“ - dritter Halt – alles wie immer, nun die Papiere bitte. Der Fahrer bleibt kiebig, weil auch hier wieder die selben Personale seine Papiere sehen wollen, wie wenige Minuten vorher bei der „Einreise“ zum Wendeplatz „Ihr kennt mich schon, einen neuen Pass habe ich noch nicht!“ - keine Widerrede seitens der Grenzer, merkwürdig! Aber sie gehen von Platz zu Platz Passbilder anschauen, bei meiner Frau, ups, wird der eine stutzig, „warum reisen Sie denn heute erst aus?!“ - was meint er? „ja, erst heute, sie haben hier in ihrem Pass eine Aufenthaltserlaubnis bis zum – Moment, das ist ja der Einreisetag! -- aber beim, nächsten Mal passen Sie besser auf sowas auf!“ - ohhh – so einfach? Kein Aufstand, keine Sondererklärung, kein Hinhalten... die beiden verlassen den Bus und „gute Reise noch!“ Beim nächsten Mal nach Mecklenburg lag die DDR schon im Sterben, der „antifaschistische Schutzwall“ (so der offizielle Name der Grenze innerhalb der DDR – die wussten scheinbar gar nicht, wie viele Faschisten sie schon längst wieder im eigenen Land hatten!) war durchlöchert und nur noch ein erste Rest vom ganzen System! Damals im Juni sagte wir dem Heinrich Möller, der so sauer auf seinen Staat war, weil er nicht einfach mal nach Westen reisen durfte, sondern erst in zehn Jahren, wenn die Rente dran ist: „Hör zu, Heinrich, noch höchstens fünf Jahre und diesen Staat gibt es nicht mehr!“ Und er war uns sowas von böse, dass wir so ein haltloses Versprechen wagen konnten,... aber damals an der Grenze war überdeutlich zu spüren, da löst sich ein System auf und die Grenze würde bald nur noch einen Ordnungscharakter für die Verwaltung haben, mehr nicht! Es kam alles viel schneller! - vielleicht auch zu schnell und zu radikal. An das komplette Ende des zweiten Deutschen Staates hatte ich keinen Gedanken verschwenden wollen, weil auch mir große Staaten eher zu unheimlich sind. Wenn Deutschland zu groß war, ging eher kein friedlicher Impuls von diesem Land aus. Vielleicht haben wir ja doch etwas gelernt!

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2009