GEH SCHICHTEN

 

MUSST DU DA MORGEN AUCH HIN?

Ist es wirklich eine Hilfe, dass wir in unserer Zeit (ausgehendes 20tes und beginnendes 21ten Jahrhundert) feste Riten haben, gesellschaftliche Verpflichtungen, Pflichten? Diese Frage hat etwas von Quer-Denken und gegen den Strich bürsten. - Wenn ich jedoch genau hinsehe, dann beobachte ich zu oft, dass die Riten und die Verpflichtungen als Last wahrgenommen werden. Aufgefallen ist mir das bereits im Alter von etwas 13 Jahren. In der Kirche, in der ich damals zuhause war, beobachtete wieder und wieder, dass beim überaus seltenen Gang zum Abendmahl die Menschen nach dem Empfang des Brotes um den Altar ging und auf der anderen Seite wieder hervor kamen um dann den Wein zu empfangen. Unterwegs warfen sie auch noch Kleingeld in eine Spendendose hinter dem Altar. Ob ich damals meine Eltern nach dem Grund befragte, oder genauso den Pastoren, der für unseren Konfirmanden-Unterricht zuständig war, die mir erinnerliche Antwort war pur: „Das ist hier eben so!“ - Wenig später an einem neuen Wohnort, geschah diese „das ist hier eben so!“ nach dem Empfang des Weines und ansonsten unterschied sich auch die Antwort in Nichts von der ersten. - Man tut es eben! - Viele Jahre später erlebte ich dann in meinem Beruf viele seltsame Dinge allein rund um das Abendmahl.

Beim Überreichen des Brotes (der Oblate) werde ich von dem Beschenkten befragt „Und was mache ich jetzt damit!“; dem Fragenden war es zuvor angeblich sehr wichtig, dass er seine Tochter zur Konfirmandenzeit angemeldet hatte und dabei einen mir wichtigen Satz unterschrieben hatte: „Ich will die Konfirmandenzeit meines Kindes tatkräftig unterstützen!“. In einem anderen Fall, lässt eine Mutter mich durch die Tochter fragen, ob sie denn als Eltern bei der Konfirmation unbedingt dabei sein müssten, das sei doch ohnehin nur was für die Kinder! Den Vogel schoss bis jetzt (2010) ein Elternpaar ab, das in diesem Jahr die Konfirmation der Tochter erzwingen wollte, obwohl diese den Erfordernissen nicht einmal zu 30% nachgekommen war. Darauf hingewiesen, dass Sie als Eltern doch schließlich mit ihrer Unterschrift zur Kenntnis genommen hätten, Dass Ihre Tochter sich zu Beginn der Konfirmandenzeit angemeldet habe und sich bestimmten Regeln beugen wollte. „Was besagt schon eine Unterschrift, das interessiert uns nicht! Stellen Sie sich nicht so kleinlich an!“ – Das ist nur ein winzige Ausbeute und aus einem genau winzigen Feld.

Ich muss an die Beerdigung einer für den Ort wichtigen Persönlichkeit denken. Die Trauerfeier findet auf dem dörflichen Friedhof statt. Die kleine Friedhofskapelle bietet gerade Mal Platz für die nahen Angehörigen des Verstorbenen. Die vielen anderen müssen davor ausharren und über Lautsprecher dem Geschehen in der Kapelle folgen. Doch dazu kommt es nicht. Es gibt Wichtigeres zu tun, Da steht eine Gruppe der ABC-Partei und sie reden nochmal über die letzte VA-Sitzung, in einer anderen Gruppe diskutieren die Abgesandten der GHI-Partei über eine dumme Entscheidung ihres Vorsitzenden... genau hingesehen ist eigentlich keiner wirklich bei der Trauerfeier, sondern nur zufällig hier gelandet.

Und so ließe sich die Kette der Beispiele fortsetzen. Ich muss zugeben, dass mir der rote Faden zunächst gar nicht bewusst auffallen wollte. Es war die Begegnung der ganz seltsamen Art. In einem Supermarkt in der Schlange vor der Kasse werde ich Zeuge einer kurzen Begegnung zweier Frauen aus dem Ort. Die einer dreht sich zur anderen um „Sag mal, musst Du da morgen auch zu der Hochzeit?!“ - es kam nur die eine Hochzeit infrage, so groß ist der Ort nicht! „ja“, antwortet die Befragte und erweitert „bleibt mir ja nichts anderes übrig!“; eine weitere Frage schließt sich von der ersten an „was muss man da mitnehmen, ich habe keine Ahnung, was ich machen soll?“ und als Antwort bekommt sie wenig hilfreiches zu hören „mal sehen, was ich so finde, mir ist auch noch nichts eingefallen.“


 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010