GEH SCHICHTEN

 

Ge(h)burtstage


Was wir im Zusammenhang mit Geburtstagen schon alles erlebt haben, das macht uns immer wieder sehr nachdenklich. Gar nicht mal nur im negativen oder resignierenden Sinne. Es ist keine einheitliche Linie in unserer Gesellschaft zu erkennen, mit solch einem Datum umzugehen. - Vielleicht wissen auch einige Zeitgenossen nicht einmal, was sie mit dem besonderen Tag im Leben eines einzelnen Menschen anfangen sollen – vielleicht nicht einmal mit dem eigenen?

Ich muss an die Schulzeit denken, bis zu 7ten Klasse gab es eine wie auch immer entstandene „Regelung“: Das Geburtstagskind bringt am Tag des Geburtstages oder am nächsten Schultag für jeden etwas „Süßes“ mit. - Damals waren das (so meine Erinnerung) meistens Karamellbonbons. Woher diese Regelung stammt, wer sie vorgegeben hatte, da bleibt meine Erinnerung leer. Für mich aber war es meistens Hohn. Denn mein Geburtstag fiel fast immer auf den ersten Ferientag vor Weihnachten oder es war sogar schon der zweite schulfreie Tag. Und somit sah ich meine Schulklasse erst im „nächsten Jahr“ nach dem 6. Januar wieder. Zwischendurch waren ganz andere wichtige Dinge zu bedenken, wie Weihnachten und Silvester. Aber auch meinen Geburtstag selber musste ich in reichlich „abgestellter“ Variante wahrnehmen. Drei Tage vor Weihnachten gab es beruflich für die Eltern reichlich zu tun und darum auch noch irgendwas mit Gästen zu veranstalten, das musste schon schmal ausfallen. Das war mir in den Jahren aber so nie wirklich bewusst und ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich mich beklagt hätte – vielleicht war ich sogar ein wenig froh, den „Rummel“ nicht erleben zu müssen, von dem anderen heute erzählen. Es kamen Geburtstagskarten der Verwandten und guten Bekannten. Und irgendwie gehörte zu diesen Geburtstagstexten dann immer wieder die Anmerkung, „Wir sehen uns ja Weihnachten, wenn ich zu Besuch komme, dann bringe ich auch das Geschenk mit.“ - Darum war es mir wohl auch sehr wichtig, im „nächsten“ Jahr die Schulklasse mit meiner süßen Tüte zu überraschen. Ich behaupte heute einfach mal – ohne jeden Beleg – hätte ich es nicht getan, es wäre wohl nie wirklich aufgefallen.

Dann ab dem 13ten Lebensjahr... viele Jahre ohne eine erkennbare Erinnerung Geburtstage. Vielleicht auch ein Ergebnis der eher zu häufigen Wohnort-Wechsel. Mein Studium begann ich 1968 im Januar, also hatte ich viel Zeit, mit diesem besonderen Tag umzugehen; registrieren, wie machen es die anderen, und erkennen, es gibt Cliquen und es gibt viele Einzelkämpfer während des ersten praktisch orientierten Jahres in drei verschiedenen Einrichtungen. Dann und wann „gab jemand etwas aus“ weil er irgendwann vor Wochen Geburtstag gehabt hatte. Auf einmal gab es da ein Mitgliederverzeichnis der Bruderschaft, zu der wir als Studenten indirekt bereits gezählt wurden. Darin im hinteren Teil ein kalendarisches Verzeichnis die Geburtstage; - Es wurden diese Tage banal abgehakt, bei passenden Gelegenheiten vorgelesen, die Gesichter zu den Namen unbekannt, verstreut in alle Welt (im Sinne des Wortes). Zum eigenen Geburtstag steckte im Postfach des Wohnheimes ein Brief der Bruderschaft. - Aus dieser Zeit heraus entwickelte sich eine eigene Dynamik und die dürfte im Ansatz durchaus dem nahe kommen, was „Geburtstag feiern“ einmal bedeuten sollte. Menschen, die sich Wert schätzen lernen, möchten gerne wissen, wann ist jener andere eigentlich geboren, in welchem Jahr und dann kommt eines zum anderen. Es ist die Freude, diesen Menschen zu kennen, sich zu ihm zählen zu dürfen. Und war da auf einmal eine kleine knuffige Clique, Menschen aus inzwischen allen Teilen der alten BRD. Wir lernten uns im Praktikum kennen, trafen uns übers Jahr auch da und dort noch einfach so, ich nannte diesen Kreis der netten Menschen „Alfelder Circus“ Irgendwann sind die Wege dann jedes einzelnen wieder neue und im Moment unmerklich in der Rückschau aber doch auch leicht wehmütig ist alles vorbei! Und das war gut. Weil die Geburtstage noch lange eine regelmäßige Brücke schlagen konnten; einfach zu wissen, der freut sich, wenn man schreibt oder anruft und in sich zu spüren, schön, dass auch diese an Dich denken.

Der nächste Abschnitt – der zur Zeit noch andauernde – ist der eigentümlichste, der mir in Sachen Geburtstag auffällt. In der Berufswelt ticken die Uhren ganz ganz anders, wenn ich es aus meiner Perspektive überhaupt ticken nennen kann! „Nächste Woche Dienstag hat der Chef Geburtstag, da müssen Sie dran denken!“ - ach, warum denn? - das gehört sich doch so! Ach!? - dabei kannte der mich doch eigentlich gar nicht, und ich ihn auch nicht wirklich. Seit dem Tag meines Dienstantrittes hatte ich in sechs verflossenen Monaten erst einmal gesehen! - später nach einem Dienststellenwechsel passierte es, dass ich meinen echten Chef innerhalb von 30 Monaten nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekam! Welchen Wert hat da das Dran-Denken an den Geburtstag, ihm sogar zu gratulieren? „Du denkst zu viel drüber nach!“ hieß es irgendwann in den 80er Jahren einmal! Also nicht denken? Einfach nur tun, was die anderen auch alle tun?

Eine der ganz seltsamen Geschichten in Sachen Geburtstag ereignete sich dann für mich 1988. Wer rechnen kann und meinen Geburtsjahrgang kennt, der weiß, wie man es auch dreht und wendet, es gab keinen herausragenden Anlass für ein besonderes Bedenken, keine „Null“, keine „Schnapszahl“ Und doch kam von einer der mir übergeordneten Stellen ein Brief und der Amtsinhaber entschuldigt sich ganz aufwendig, dass er leider schon im Vorjahr versäumt habe, den 50- und 60jährigen zum Geburtstag zu gratulieren. So ist das; - nur ich war noch immer keine 50 Jahre alt und der 60te Geburtstag war noch in weiter Ferne. - Eine Erklärung fand ich für diesen Super-Patzer auch: In dem unregelmäßig landesweit erscheinenden Mitarbeiterverzeichnis gelang es meinem Arbeitgeber einfach nicht, meinen Geburtstag korrekt zu notieren – in jeder Ausgabe, ein neues Datum – verbunden mit der eigenartigen Erscheinung, dass es sich von Mal zu Mal mehr der Wirklichkeit annäherte – und ich konnte eine Hochrechnung anstellen, dass das richtige Datum bis zu meiner Pensionierung wohl erreicht sein würde. Nun erscheint das „Buch der Heiligen und Gesegneten!“ (so betitelte ein Kollege das dicke Werk) noch seltener und ohne dieses persönliche Datum! - Und von der übergeordneten Stelle habe ich nie wieder derart persönlich orientierte Post erhalten!

Ganz im Gegenteil: Aus der mir direkt vorgesetzten Dienststelle erreicht mich eines Tages ein eMail, ein Vierzeiler; weil in dem Jahr die Geburtstagskarten nicht in ausreichender Stückzahl gedruckt worden sein, gratulierte mir das System auf diesem Wege! - „Klasse, wa?!“

Sehr beeindruckt haben mich innerhalb kurzer Zeit zwei Geburtstagsfeiern, die nichts miteinander zu tun hatten, aber wie „Arsch auf Eimer“ zusammenpassten; und ich mir wieder die Frage stellt, warum wird (dieser) Geburtstag gefeiert?!

Da ist in dem einen Monat der 40te Geburtstag einer mit uns „guten Bekannten“. Wir bekommen eine aufwendig gestaltete Einladung. Obwohl wir doch schon seit über fünfzehn Jahren jedes Jahr zum Gratulieren bei Ihr auf der Matte standen. Und dann kommen wir und bekommen einen Schrecken. So viele Leute haben wir in dem Haus noch nie vorher gesehen; die allermeisten der bereits Anwesenden und immer noch nachrückenden hatten wir vorher noch nie gesehen und wir sahen sie auch hinterher nie wieder! Die Gastgeberin sahen wir an dem Nachmittag – so lange wir es aushielten - zwei drei Mal vorbei huschen; irgendwann wurde eine Tischglocke durch Haus und Garten geläutet, nun wollten doch diese und jene eine besondere Überraschung vorführen, ein Gedicht aus dem Kreis der Krabbelgruppe, ein Sketch von der Kindergottesdienstgruppe, ein Liedchen der Kinder der Krabbelgruppe,... Dann eine Lobesrede von einer uns unbekannt bleibenden Person, was doch die Geburtstagerin in ihrem Leben alles tolles geleistet hatte – Zur Erinnerung, es war der 40te Geburtstag von Marta Müller, die nicht in den Ruhestand gehen wollte, und die nicht irgendwohin befördert oder verabschiedet werden sollte, - Mitten drin vernahm ich den Namen einer Frau, sie wurde von irgendjemanden direkt angesprochen; Welch ein Chance für mich, ich hatte schon wiederholt einen Tipp bekommen und sollte in Kontakt zu ihr treten. Ich näherte mich diesem Gast, stellte mich vor? Reaktion „Müsste ich Sie kennen?!“ - nein, wie auch, wir sollten ja in Kontakt zu einander treten – ich erwähne diesen Umstand kurz und „nein, damit lassen Sie mich heute bitte in Ruhe, damit möchte ich jetzt nichts zu tun haben!“ - Auf einer Ausstellungseröffnung in Hannover-Davenstedt ging es zu dem Zeitpunkt schon offener zu, dort bemühte man sich, zu erfahren, wer einem gegenüber steht. - Am Rande: der Kontakt kam nie zustande, ich konnte auf Schein-Heiliges Getue schon immer gerne verzichten! - das muss dann auch anderen so aufgefallen sein, denn der Hinweis auf diese Frau verflüchtigte sich urplötzlich wie Rauch. Von dieser Geburtstagsfeier haben wir uns dann nach einer knappen Stunde ganz leise und unauffällig entfernt. So ganz unentdeckt blieb es dann doch nicht, denn der Ehemann kam hinter uns hergelaufen, als wir schon weit aus dem Haus heraus waren. Er verstand unsere Worte wohl bis heute nicht: „Wenn Ihr mal wieder mehr Zeit habt, schauen wir gerne wieder vorbei!“ dazu kam es dann aber gar nicht mehr. Wenig später eine Geburtstagsfeier, die ich nur in ihren absolut aufwendigen Vorbereitungen mit bekam. Seit kurzem war er unser Chef; ein Zugereister (würde man in Bayern sagen). Und wenige Zeit nach seinem Dienstantritt in dieser leitenden Position war der 50te Geburtstag im Kalender vorzusehen. „Da müssen wir doch was machen!“ - WIR? Müssen? Welcher Grund könnte dafür als Argument eine Rolle spielen? - Bitte, nicht mit mir! - Und es gab sie tatsächlich, diese ominöse Geburtstagsfeier, gigantisch, großer Rahmen, in einer Konferenz wurden ausdrücklich alle Mitarbeitenden aufgefordert, statt eines Geschenkes doch einen Geldbetrag zu geben, damit man dem Chef und seiner Frau (Wer hatte da jetzt Geburtstag?) eine Reise nach Dingensburg mit Hotelübernachtung und Besuch der weltberühmten Theaters am Ort ermöglichen könnte. Die Feier des Tages viel ähnlich bombastisch aus, wie der schon oben geschilderte 40te Geburtstag. Die Reise konnte ermöglicht werden, es reichte sogar noch für ein Abendessen als Zugabe. Sei es den beiden gegönnt. Ich muss gestehen, die Frau meines Chefs kenne ich bis heute nicht einmal von einem Foto. - kleiner Scherz am Rande: die Feier war scheinbar so persönlich ausgefallen, dass selbst ich ich eine Danksagung vom Chef bekam, für die schöne Feier und das überraschende Geschenk. - Welche Bedeutung hatte diese beiden Geburtstagsfeier wirklich?

In dem selben Jahr interviewte ein Journalist des Norddeutschen Rundfunks den Chef des Kraftfahrtbundesamtes in Flensburg! Eine knappe Stunde ging um Gott und die Welt. Und ganz nebenbei bemerkte der Journalist, dass er bei seinen Vorrecherchen in dem Amt immer wieder auf kleine Anmerkungen zur Person des Chefs gestoßen sei; und eine davon schien ihm doch sehr unglaubwürdig: „er gratuliert eigentlich jedem von uns zum Geburtstag persönlich!“ Die Skepsis konnte aufgehoben werden: „Das ist mir wichtig. Ich kann von den Menschen da im Haus nicht Höchstleistungen erwarten und sie als Persönlichkeit nicht wahrnehmen. Wenn ich es irgendwie einrichten kann, dann lasse ich mir am Morgen von meinem Büro die Geburtstagsliste geben. Und wenn ich es wirklich mal nicht schaffe, dann rufe ich persönlich an! Das ist mir wichtig!“ - Meinen Chef sehe ich manchmal Monate lang nicht und selbst das Telefon scheint ihm sehr fremd zu sein.

Geburtstag, es gibt auch die andere Seite, erlebe ich immer wieder: Die Erwartung, dass bestimmte Personen auf der Matte zu stehen haben. Der Pastor und der Bürgermeister!; das kann bis zum Vereinsvorsitzenden ausgedehnt werden. Und das geht so weit, dass selbst Frau Müller, die im Namen der Kirchengemeinde den Geburtstagsgruß persönlich überbringt, schon an der Tür mit den Worten empfangen wird: „Und warum kommt nicht der Pastor, bin ich ihm nicht fein genug?“ (beim Bürgermeister war das auch ein lange Zeit zu beobachten, aber nun gibt es diese Herrschaften ohnehin nur in eher anonymer Darstellung,)

Genauso muss ich mich an Geburtstagsbesuche erinnern, die ich „früher“ im Rahmen meines Dienstauftrages machte: Am liebsten ging zu den Jubilaren einen Tag nach dem Ereignis, weil ich sonst in den allermeisten Fällen davon ausgehen konnte, ich habe die Rolle des schmückenden Beiwerkes zu erfüllen, und bei der meist großen Zahl der Gratulanten unterbleibt die persönliche Begegnung, bis auf zwei-drei Floskeln. Aber wie Einsam sind dennoch Menschen, wenn sie neben Weihnachten auch an diesem Tag sich vergessen glauben. In solch einem Zusammenhang fragte mich dann auch einmal ein ältere Dame „Sagen Sie mir, kann man eigentlich das Sprechen verlernen? Seit über zwei Wochen habe ich keinen Menschen in meinem Haus gesehen, - auch gestern nicht – kein einziger!“ Aber da standen doch so viele Blumen in der einen Ecke, Karten dabei; - ja, die sind alle per Fleurop gebracht worden, keiner hatte Zeit, persönlich zu kommen!

Und dann gehören zu meinen und unseren Geburtstagserlebnissen auch solche kleinen Dinge wie die folgenden:

  • Vor der Wende hatten wir auf einem ziemlich verrückten und schwer nach vollziehbaren Weg ein Ehepaar kennengelernt, das in der DDR lebte. Das „verrückte“ war besonders deren Wohnort, der Monikas Geburtsort ist. Und dann kam die sogenannten „Wende“, endlich Reisen in beide Richtungen, ohne Antragsformular und Abwarten der Genehmigung (meist der Ablehnung). Wie gerne hätten die beiden uns vorher auch mal zum Geburtstag besucht, schrieben sie! Dann war da der Geburtstag von einem der beiden, ich setze mich früh morgens ins Auto und fahre 200 km Richtung Osten, bin um kurz vor elf im Ort, ich klingele an der Haustür: Die Geburtstagerin öffnet persönlich: „Ach Du! - ja danke, aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit, kannst Du später noch mal wieder kommen? - WANN, ja weiß ich auch nicht, später eben! - Ich hatte am Abend noch einen beruflichen Termin wahrzunehmen. Also fuhr ich wieder nach Hause – 200km zurück! - Sich selber haben die beiden dann auch später nie auf den Weg gemacht, zu weit und so schwer zu finden!

  • Welch herrliche Überraschungen dann aber auch, wenn an den Geburtstagen ganz urplötzlich das Telefon geht, oder an der Tür geklingelt wird und überraschende Gäste vor der Tür stehen oder jemand aus der Ferne anruft. Das sind wirklich wunderschöne Geschenke des Tages.

  • Wir schenken uns an unseren Geburtstagen ganz eigene Geschenke. Da Monikas Geburtstage meistens (nahezu immer) in den Jahresurlaub fallen, wird dieser dann auch an einem besonderen Ort gewürdigt. Bei unserer Italien-Rundfahrt 1991 hatte es genau so geklappt, dass Monika ihren Geburtstag genau auf dem 40ten Breitengrad erlebte – in Salerno.

  • Und 1999 – vielleicht gar nicht so zufällig – querten wir im Dezember bei der Rückfahrt von einem Kurzurlaub in Tirano im Speisewagen genussvoll den 50ten Breitengrad – zum Ausklang des 50ten Geburtstages.

Vielleicht sind es eher solche Eindrücke, die einen Tag in direkter Erinnerung bleiben lassen; es ist ein Gesamterlebnis, das in aller Ruhe aufgenommen werden kann und sich ausbreiten kann. Das kann auch in den eigenen vier Wänden geschehen. Aber es sollte – wenn es zu meinem Leben als Zeitzeichen gehört auch ein Tag sein, den ich erleben kann, an dem ich mich zurücklehnen kann.

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010