GEH SCHICHTEN

 


Freundschaft (II)

„Was ist eigentlich Freundschaft!“

Freundschaft zählt für mich zu den ethischen oder vielleicht auch philosophischen Werten. Freundschaft zu beschreiben, das ist eher kaum möglich, weil dieses Wort so inflationär in unserer Welt benutzt wird.

Darum ist es vielleicht auch so schwer zu verstehen, was ich in Sachen Freundschaft da und dort mit viel Traurigkeit beobachten muss. - Und ich meine damit wirklich nicht die Kinderfreundschaften, sondern mein Blick richtet sich auf sogenannte “erwachsene Menschen”.

Einen besonderen bitteren Geschmack der Freundschaft mussten ja viele Menschen nach dem Aufdecken der sogenannten "STASI-Akte“ nach der „Wende“ von 1989 erleben, als sie erschrocken zu lesen bekamen, dass es beste Freunde waren, die der Staats-Sicherheit Dinge aus der persönlichen Sphäre berichteten, - nicht einmal, sondern fortgesetzt – als IM, als inoffizielle Mitarbeiter.

Wie aber lässt sich die folgende Episode verstehen?

Nenne ich das Ehepaar einfach Schulz. Sie leb(t)en auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und pflegten bis vor geraumer Zeit eine Freundschaft zu einem Ehepaar auf der anderen Seite der Grenze – gute Freunde, wie sie sagten, sehr gute Freunde sogar. Und diese Freunde leben in einem sehr schönen Haus, gut ausgestattet, und beide gingen einem spannenden Beruf nach, technisch und künstlerisch sehr interessant und der lässt sich bis in die Freizeit wirkungsvoll einbauen. Gute Bekannte und Freunde können durchaus davon profitieren; auch die Schulzes nach dem Fall der Mauer! - Bis dann eines Tages der gute Freund bei einem berufsbezogenen Einsatz tödlich verunglückt. Bei der Beerdigungsfeier im eher bescheidenen kleinen Kreis müssen Schulzes erstaunt erfahren: Die Familie des Verstorbenen erbt einen riesigen Schuldenberg und muss wohl das Haus komplett aufgeben. - Wenig später erzählen Schulzes uns von dieser Entdeckung: „Stellt Euch vor, die hatten ja gar kein Geld und so'was hatten wir als Freunde!“ - Der Kontakt wurde abgebrochen, die Witwe passte als arme Maus nicht mehr in den Dunstkreis der Schulzes!

Die gleichen Schulzes liefern einige Zeit später noch ein freundschaftliches Beispiel der besonderen Art:

Ich stehe in Hannover auf dem Bahnsteig, weil ich in wenigen Minuten mit dem ICE nach Karlsruhe fahren will. Es ist noch ein wenig Zeit. Auf dem Gleis nebenan, am selben Bahnsteig fährt ein IC-Zug aus Hamburg ein, nichts Besonderes eigentlich. Genau vor meinem Standort öffnete sich nach dem Halt zusammen mit vielen Türen des Zuges eine und als erste entsteigt Frau Schulze, ich bin überrascht. Erkennbar verunsichert und darum noch mehr überrascht ist sie. Ich überspringe die Schwelle des sichtbaren Erschreckens mit der Begrüßung, „ich will gleich mit dem Zug nach Karlsruhe, und was führt Dich nach Hannover?“ - Drucksen, sichtbares Nachdenken – Sie gibt vor, eine gute Freundin in Hannover besuchen zu wollen! - „ach, ja, wo wohnt sie denn?“ - wir hatten nie etwas von einem weiteren Kontakt zu Hannover gehört, zumal es angeblich so sehr schwer sei, sich in Hannover zurechtzufinden, (Hamburg sei viel übersichtlicher. - Übersetzt: da möchten wir lieber nicht hinfahren!) - Sie kann es gar nicht richtig beschreiben, nein, genau Hannover sei das nicht – „und wie kommst Du da jetzt hin?!“ - Das wusste sie noch gar nicht... Aber sie besuchte eine Freundin - so so! - Die Situation wurde durch das Eintreffen meines Zuges entkrampft oder besser gesagt: aufgelöst.


 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010/2012