GEH SCHICHTEN

 

Feiern bis der Arzt kommt?

Drei Beobachtungen bewegten mich an einem einzigen Tag, ein Freitag im August 2011. Sie haben scheinbar nichts miteinander zu tun.
In der Internet-Plattform "MyHeimat" wird mit Fotos von der Feier eines 30ten Geburtstag berichtet. In Laatzen (bei Hannover) lebt einer der vielen unverheirateten Männer, die es bis zu dem Stichttag nicht geschafft haben, sich verheiratet zu haben. Irgendwann vor etlichen Jahren hat auch den Calenberger Raum der alte Brauch wieder erreicht, dass solche Ehe-Resistenten zur Strafe(!) die Treppe des Rathauses am Ort fegen müssen und davon erst erlöst werden, wenn eine Jungfrau sich dieses Übeltäters mit einem Kuss erbarmt. - Daraus ist inzwischen so viel anderes entwickelt worden, dass es genau genommen keine Erwähnung mehr verdienen würde. Ich erinnere mich an einen als "rosa Schweinchen" verpackten Mann, der durch zwischen Oldenburg und Hannover durch einen Zug geschickt wurde und irgendwas von den weiblichen Fahrgästen erbetteln sollte. Hach wie lustig, hau auf Schenkel - Lustig fanden das vor allem die angetrunkenen Begleiter des Geburtstagers. - Und jetzt in Laatzen passierte auch nichts anderes, der Delinquent wurde in einem aus einen nahen Museum ausgeliehenen Pranger geklemmt, entkleidet bis auf die Badehose und musste sich nass-spritzen lassen, womit auch immer. Ach ja, das habe ich ja nun lustig zu finden. - Nebenbei fällt mir dann ein: Just in Hannover und im nahen Umkreis gibt es inzwischen eine rekordverdächtige Anzahl von sogenannten Single-Haushalten.
Am selben Tag kam ich in Hannover unmittelbar am Standesamt war wieder Hochbetrieb. Aus der großen Tür trat grad ein frisch vermähltes Paar, die Angehörigen stehen im Halbkreis und blockieren damit den Passanten das leichte Vorankommen auf dem Fußweg. Die Braut wendet sich mit Rücken zu den Umstehend und zeigt an, dass sie gleich den Brautstrauß hinter sich werfen wird. - Auffangen sollte ihn nach altem Brauch eine unverheiratete Frau und diese wird dann als nächste in absehbarer Zeit als Braut zu bezeichnen sein. - Im aktuellen Fall springt keiner der umstehenden Frauen hinter die Braut, zwei kleine Mädchen (maximal 8-9 Jahre alt) werden in die gedachte Wurfrichtung geschickt und eines der beiden fängt auch stolz den gewaltigen Strauß. - Bis sie offiziell heiraten darf, wird rein statistisch gerechnet die aktuelle Braut eher schon ein zweites Mal aus der Tür eines Standesamtes treten und sich frisch vermählt bezeichnen können.
Am selben Tag, vier Stunden später sitzt mir eine 13jährige Jugendliche gegenüber, die zu gerne im folgenden Jahr von mir konfirmiert werden möchte. Sie ist ist vor acht Monaten zugezogen und hatte das mit der Konfirmandenzeit ganz vergessen. Ich möchte ihr nahebringen, das gesetzte Ziel noch um ein weiteres Jahr zu verschieben, weil die versäumte Zeit nur mit großem Aufwand von ihr zu leisten sein wird, der aber den Anforderungen der Schule eher zuwidersteht, zumal sie auch weiterhin in der über 20km entfernten Schule bleiben möchte. - Nein; sie legt großen Wert auf das Jahr 2012. Denn für die Konfirmation haben sich die Mädchen ihres alten Dorfes verabredet eine Extra-Feier zu veranstalten, weil sie die Konfirmandenzeit geschafft haben. Also zu der einen Feier, die auch nicht klein ausfallen wird noch eine weitere Feier?

- Genauso! Ich hatte es durchaus richtig verstanden! - das Leben ist nur noch mit unentwegtem Feiern zu ertragen - was und wie gefeiert wird, ist grausam egal!

 

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Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2011