GEH SCHICHTEN

 

    Kirche – Gemeinde – Gottesdienst
    GESCHLOSSENE GESELLSCHAFTEN

    Zwei Zitate aus dem Internet (August 2014):

    Ich habe es noch nie erlebt, dass die Menschen auf mich zugegangen sind und mich Willkommen geheißen haben.

    Meine Erfahrungen sind komplett identisch. Ich habe das gewöhnlich auf meine soziale Phobie zurückgeführt. Es hat mich immer riesig viel Überwindung gekostet, überhaupt in einen Gottesdienst und unter Menschen zu gehen. Wenn ich es einmal geschafft habe, fühlte ich mich oft wie ein Störfaktor in einer geschlossenen Gesellschaft. - Ich habe es aufgegeben...“

    Wie begegnen wir in den Kirchengemeinden allen unseren Mitmenschen. Es ist, wie rundherum in unserer Gesellschaft, absolut zwiespältig und widersprüchlich. Die beiden Zufalls-Zitate können nur als ein ganz kleines Fenster dienen, doch sie zeigen das Problem an.

    Selbst erlebte Beispiele zeigen vielleicht den Weg in die Tiefe. Ortsnamen werden eher keine Rolle spielen, weil sie eine Begrenzung erzeugen.

    Ich komme in der touristisch stark frequentierten Stadt an. Beim Weg vom Bahnhof in die Stadt führt an der Kirche vorbei, die Tür steht weit geöffnet. Ich trete ein und werde sofort angesprochen: „Kommen Sie, helfen Sie mit, wir wollen die Orgel verschieben!“ Tatsächlich steht eine gewaltige Orgel auf ihren Rädern und soll zu einem neuen Standort in der Kirche verschoben werden. Geschafft! - Das war es, keine Frage nach der helfenden Person, kein Dank, nichts!

    Ein ganz normaler Sonntag irgendwann mitten im Sommer. Ich wurde gebeten, in der mir bis dahin unbekannten Dorfkirche den Gottesdienst zu leiten. Auf dem Plakat im Schaukasten steht als Beginn 10Uhr. Um halb Zehn stehe ich vor der Tür. Geschlossen! Zwanzig Minuten später immer noch alles verwaist. Ich schaue mich um, wo mag hier eine kompetente Person zu finden sein. - Da kommt aus einer Gasse eine Frau und stellt sich als Küsterin vor. „Sie sind aber früh! - ich glaube nicht, das heute jemand kommen wird. Im Sommer kommen selten Leute zum Gottesdienst“ Sie öffnet, die schaltet die beiden Glockenmotoren an... ich möchte mich vorbereiten, die notwendigen Dinge bereitlegen; - ich komme gar nicht dazu, unentwegt kommen Menschen, die den Gottesdienst feiern möchten. Und mir ist es wichtig jeden beim Eintreten zu begrüßen; schließlich sind es knapp vierzig Menschen, die sich haben einladen lassen. - Mir lag beim Verlassen der Kirche die Frage auf der Zunge: Wie oft wohl schon standen Menschen vor der verschlossenen Tür dieser Kirche?!

    Gerne habe ich mit Konfirmanden einen Gottesdienst inhaltlich vorbereitet, immer mit dem wichtigen Element, dass sie selbst eine wichtige Aufgabe nach ihren Fähigkeiten und Ideen übernehmen. Einer dieser Gottesdienst führte unfreiwillig und absolut ungeplant zur Entlarvung der anwesenden Gemeinde im Gottesdienstraum. Der Jugendlich hatte im Blick auf das Predigtthema des Sonntags die Idee, sich optisch als wohnungsloser „Stadtstreicher“ zu verkleiden und dann während einer der Bibellesungen in den Gottesdienstraum zu torkeln. Mein Neid für seine schauspielerische Leistung hat sich bis heute gehalten. Die Haupteingangstür öffnet sich, lallend kommt der „unpassend Gekleidete“ herein. Er möchte einen Platz finden, Küsterin und ein Kirchenvorsteher gehen auf ihn zu und wollen ihn aus dem Raum komplimentieren. Zwei weitere Konfirmanden gehen auf diese Gruppe zu und entwickeln ein freies Gespräch bei dem sich das „Lallen“ und seine Körperbewegungen als angeborenes Handycap entpuppen und noch in der Lesung entwickelt sich ein kurzes Gespräch mit der versammelten Gemeinde.

    Sonntagmorgen, 10 Uhr, die kleine gottesdienstliche Gemeinde ist in der sogenannten Winterkirche versammelt. Es gibt keinen, der ein Instrument spielen kann. Es fehlt noch der diensthabende Pfarrer,... fünfzehn Minuten nach zehn kommt der Pfarrer in den Raum geschneit, ein kurzes „Das ist eben so!“ ist alles was als Gruß oder Entschuldigungsversuche zu hören ist. Für den Gettoblaster wird ein passender Platz gesucht, eine naheliegende Steckdose, die Verlängerungsschnur, denn das Gerät wird für den Gesang mit CDs bestückt, die den Gesang unterstützen sollen... wenn irgendwo eine Spur von Spiritualität vorhanden gewesen sein soll, nur war sie komplett endlich dahin. Es dauert eine ganze Weile, bis das wieder möglich war.

    Ganz exquisit begegnete mir eine Gottesdienstgemeinde, als man mir schon an der Tür zu verstehen gab, da ich nicht zu ihrer Konfession zu zählen sei, dürfte ich am Abendmahl gar nicht teilnehmen. Und dann hieß es in der Abendmahlsliturgie „Kommt, denn es ist alles bereit. Sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist!“

    Weihnachten, zweiter Feiertag, in meinem Wohnort gab es weder am ersten noch am zweiten Feiertag einen Festgottesdienst. Aus der Tageszeitung erfahre ich, dass in meiner Kirchenregion in einem Ort 26km entfernt ein „gemeinsamer Gottesdienst“ gefeiert werden soll. Ich fahre dorthin. Ich bin zehn Minuten vor offiziellem Beginn dort. Draußen vor der Tür stehen ein Pastor aus einer anderen Gemeinde der Region und ein Gast-Organist. Sie können nicht in die Kirche gelangen, verschlossen! Der ortszuständige Pastor kommt vorgefahren. Er erklärt, dass er dem Küster Urlaub gewährt habe. Die Kirche wird aufgeschlossen... es beginnt das nervöse Suchen nach einem Schalter, der Herrenhuter Stern in der Mitte der Kirchendecke soll leuchten, ach ja, da ist tatsächlich ein Stern... aber sonst erinnert in diesem Raum nichts – GAR NICHTS an ein Weihnachtsfest. Um 10.05Uhr kann es dann mit sieben Gottesdienstbesuchern losgehen... Lieber Gott, was musst Du mit uns aushalten, wenn wir Dich beim Namen ansprechen!?

    Gottesdienst in einer eher als gastfrei bekannten Gemeinde. Man lädt einmal im Monat zu einem Mittagessen ein, das von unterschiedlichsten Gästen nach dem Gottesdienst angenommen wird. Doch immer wieder passiert es, dass nach dem Gottesdienst ganz schnell die Kirche abgeschlossen wird und Gäste, die sich noch im Gespräch mit anderen befinden, durch einen „Hinterausgang“ die Kirche verlassen. - Es bedurfte eines ruhigen Nachdenkens und nun steht das „diensthabende Team“ immer zum Gespräch bereit.

    Wenn in einer Gemeinde das GESCHLOSSENE zu dominieren beginnt, sollten die Glocken im Kirchturm ganz heftig läuten.


 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Dersenow 2014

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