GEH SCHICHTEN

 

Hochzeit – das war genau... (1975)

Ja, wie sollen wir das sagen? - das war genau so, wie es zu uns passt! - Vielleicht haben wir viele Menschen wirklich nur überrascht und uns damit eine große Freude geschenkt. Ohne dass wir irgendjemanden überfordert haben – da sind wir uns bis heute ganz sicher!

Keine weiße Kutsche, kein Baustamm-Durchsägen, einfach nur zusammen mit anderen einen nächsten Schritt wagen, aus dem unsere gemeinsamen Schritte werden sollten.

Das ganz fing an mit dem, was andere „Verlobung“ nennen – das ist ein eigenes Thema wert. Wir konnten uns schon keine Feier leisten, die viel Geld kosten würde. Dafür einen Kredit aufzunehmen, kam uns nicht mal im entferntesten in den Sinn. - Genauso bei der Hochzeit. - Wir schauten uns um, wer würde sich zusammen mit uns freuen, dass wir uns trauen wollen, wirklich gemeinsam zu gehen – nicht nur oberflächlich, oder um der netten Geste willen. Für dieses Nachdenken haben wir uns schon viel Zeit gelassen. - Wir mussten Papiere besorgen, stellten wir fest. Für Monika ging es um Papiere aus der DDR, was würde da wohl kommen, dann eventuell die Ersatzpapiere beschaffen. Ich ließ mir aus Leck einen Auszug aus dem Register der Konfirmierten herstellen und hatte gleich Taufe und Konfirmation auf einen Schlag bescheinigt und machte eine ungeahnte Entdeckung mit meinem Konfirmationsspruch.

Das mit den Papieren lief leichter als vorausgeahnt. Nun erst einmal den Termin mit dem Pastoren abmachen, der unserer Ehe den Segen Gottes geben sollte. Dann mit dem Standamt nach dem geeigneten Termin suchen – so früh wir kamen, war das ein Kinderspiel. Wir nannten auch schon unsere Trauzeugen – obwohl beide von allem noch gar nichts wussten, aber wir waren uns sicher, dass beide ... Wir hatten uns bei beiden nicht einmal im Ansatz getäuscht! Sie sagten auch ohne genau Kenntnis des wirklichen Hintergrundes ein halbes Jahr vorher zu, den Tag frei zu halten und einen Personalausweis parat zu halten.

Wir fanden in meinem Arbeitsbereich (im selben Haus, in dem wir längst wohnten) genau den richtigen Raum für die Feier am Tag der kirchlichen Trauung, - Nach und nach verstanden die Menschen, dass wir beiden anders ticken, als der große Trend. Es kamen Angebote Salate herzurichten, Kuchen zu backen... Und richtig aus dem Häuschen war die Oma von Monika, als sie erfuhr, dass wir es so einrichten, dass auch sie am Tag der kirchlichen Trauung dabei sein darf. Denn sie konnte schon lange keine zwanzig Schritte mehr gehen und war auf einen Rolli angewiesen. Die Einladungskarten ließen wir wieder drucken, wieder das reizende Spiel mit den Namen, ob wir uns da nicht irgendwie vertan hätten. Auch in die Anzeige im überörtlichen Bekanntmachungsblatt („rings-um-uns“) sorgte für reichlichen Gesprächsstoff. Inzwischen hatten es alle, die es wissen mussten und sollten erfahren, um was es ging.

Unsere Trauzeugen plus Anhang und zwei weitere Begleiter bekamen noch eine Extra-Einladung für den Freitag beim Standesamt, genau Uhrzeit und den Hinweis, dass es hinterher zum Festessen Zwieback und Würstchen geben würde, was wir dann aber erst zusammen mit ihnen einkaufen wollten.

Der erste Tag konnte kommen. Freitag, morgen Thomas der eine Trauzeuge wollte am Morgen mit dem Zug von Göttingen kommen. Wir hatten verabredet, dass ich ihn von der Station vor Hauptbahnhof „Bismarckstraße“ abholen, auch weil man da wirklich mit dem Wagen parken konnte und auch, weil es näher zu unserem Wohnort lag. Wer Hannover nicht kennt, und somit auch nicht die immer nur kurz bezeichnete Station „Bismarckstraße“ Der muss sich an der Eilenriede (Wald) – nahe der damals noch existenten Pädagog.Hochschule einen hohen Eisenbahndamm ausmalen, viergleisig, also ziemlich breit. Das schön gestaltete Bahnhofsgebäude besaß eine prachtvolle Empfangshalle, die sich zu einem Tunnel hin öffnete, von dem aus zwei Treppenaufgänge zu den beiden breiten Bahnsteigen führten (heute ist da alles ganz anders), Am Morgen um halb Acht Uhr sollte der Zug kommen; er pünktlich – Bundesbahnzeiten eben! - Türen gehen auf, das war unten zu hören, denn ich war knapp auf die letzte Minute selbst erst angekommen. Das typische Geräusch von Schritten auf der Treppen nach unten , die ersten kommen an und... bleiben wie angewurzelt stehen, schauen zurück nach oben, es wird ruhig und es kommt ein einziger Typ, ein langes hageres Elend, Zylinder auf dem Kopf, glatte dennoch leicht zottelige Haare, Nickelbrille und einen eher zu kurzen Schwalbenschwanz und die schwarze Hose wirklich viel zu kurz, extremes Hochwasser! Sie lassen ihn vorbei und halten den Mund offen. So ein Schauspiel – und das um diese Zeit.

Wir wussten, warum wir Thomas dabei haben wollten. Keine große Show, aber in seiner Gegenwart fühlten wir uns gut! - Schade, dass Monika dieses Geschenk nicht miterleben durfte.

Ich kann es auch ausschmückend nun noch einmal wiederholen, wenn ich von der ganz Show beim Standesamt erzählen müsste. Allein die Gegenwart von Thomas hat das Personal aus mehreren Ämtern nach draußen gezerrt, als wir aus dem Trauzimmer kamen, „Siehste, was habe ich Dir gesagt!“ rief einer Sachbearbeiterin einer anderen zu! - Die Amtlichkeit hat das ganz nicht gestört, weil Thomas sich da ohne irgendeinen Aufwand ganz an die Spielregeln halten konnte. Denn das muss einfach gesagt werden, es war nie Klamauk von seiner Seite, einfach nur Nonkonformismus, unaufdringlich freundlich! - Ingo, der Zweite im Bunde, musste dafür einmal tief schlucken, als beim Verlesen des Protokolls aus seinem Beruf Krankenpfleger, Gartenpfleger gemacht worden war. Zu der Zeit war seine Leidenschaft der Nachtdienst und wir mussten selbstverständlich an den des Nachts dienenden Gartenpfleger denken, mit all den Konsequenzen.

Und wer unsere Geschichte noch nicht kennt, dem muss auch erzählt werden, wir sind dann gleich neben dem Rathaus in den Supermarkt gegangen und haben das Mittagessen eingekauft. Eine unserer Begleiterinnen wollte es uns nicht glauben – aber ihr gefiel ohnehin so einiges nicht an unserer Art, die Hochzeit zu feiern! Alles hat seinen Preis auch die falsche Freude und wir wollten eine gute Freude, an die wir uns gerne rückbesinnen wollten und immer noch können.

Dann der nächste Tag, die kirchliche Zeremonie. Auch hier war nichts, wie es die Gewohnheit der Sitten und Bräuche erwarten ließ. Wir hatten mit dem Pastoren den Gottesdienst so vorbereitete, dass er es uns komplett überließ, wie der Ablauf liturgisch gestaltet sein sollte. - Wie ein Sonntags-Gottesdienst, und statt mit einer Taufe eben mit einer Trauung mitten drin. Der Gemeindechor wollte uns mit einer Einlage beschenken, wie sie sonntags auch dann und wann üblich ist. - Am Vormittag holten wir die Oma aus Stadthagen ab, der Rollstuhl stand bei der Kirche bereit... und als es an der Zeit war, setze sich die alte Dame freudestrahlend in den Rolle und ich schob sie in die Kirche zu einem Platz bei dem Monika und ich neben ihr sitzen konnte. Die Glocken läuteten den Gottesdienst ein. Wir saßen alle auf den von uns irgendwie gewählten Plätzen und die Glocken verstummten - „wo bleibt denn das Brautpaar?“ hörten wir hinter uns munkeln, die Orgel spielte, die Chor hatte einen fröhlichen Choral vorbereitet – die neugierige Gemeinde versuchte lange zu verstehen, warum das Brautpaar einfach nicht zu kommen in der Lage war. Erst als vor der Predigt der Pastor „das Paar“ zum Altar bat, wurde das Rätsel unausgesprochen gelöst... - keine Braut in Weiß, und kein Einzug, usw. eben ein Gottesdienst für alle zusammen mit Gott!

Die Kinder vor der Kirche die nach dem Gottesdienst auf das Brautpaar warteten taten mir irgendwie schon leid, dass sie da viel länger als sonst warten mussten und einfach kein Brautpaar zu sehen war! - Vielleicht ein kleiner Lernerfolg!

Der restliche Tag war einfach nur eine Ansammlung von freundlichen Begegnungen und vielen Überraschungen, von Ideen, die man gar nicht vorbereiten konnte, sondern die da sein mussten. „Wer kommt mit auf eine Stunde zum Bowling?!“ Thomas kannte sich in der Gegend aus und fand genau die richtigen, die sich auch nicht zu viele langweilige Reden anhören möchten.

Und der Gipfel von allem? Wir haben doch auch etwas vergessen! Keiner hatte auch nur irgendwie nebenbei an einen Fotoapparat gedacht. Es gibt von dem Tag so gut wie keine wirklich verwertbaren Fotos.
Und vielleicht ist das sogar gut so. Das Erzählen macht viel mehr Freude, als das trockene Ansehen!

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010