GEH SCHICHTEN

 

"Konfirmation - keiner weiß mehr warum und wozu"

Zuvor zwei beliebige Zitate:
(aus einem Internet-Forum)
"ich kann mich nicht mehr ganz an meine Konfirmantenzeit erinnern obwohl es garnicht so lange her ist. Klar wir haben auch viel Mist gemacht aber bei uns war der Unterricht sehr streng und wer seine Kirchengänge nicht voll hatte dem drohte halt das er nicht konfirmiert werden. Das war natürlich nicht so schön aber wer geht in der Pubertät gerne in die Kirche geht heute sehe ich es anders. Unser Pastor war auch sehr streng, aber wir hatten den Unterricht mit unserem Diakon. Ich kann nur soviel sagen ich war froh als alles vorbei war. Denn nochmal hätte ich das nicht gemacht heute würde ich mich gerne konfermieren lassen denn wir haben einen neuen Pastor und Diakon, hoffe wenn meine Tochter in dem Alter ist das sie sich auch Konfermieren lassen will. "

(und aus der Web-Seite einer Kirchengemeinde): "In einer für die Entwicklung der jungen Menschen außerordentlich wichtigen Zeit wollen wir sie begleiten und ihnen helfen, dass sie auf den Weg des Glaubens finden und mit ihrem Glauben eine Heimat finden in der Gemeinschaft der Christen. Wir sind uns bewusst, dass dies hohe Ziele sind, zu deren Verwirklichung wir nur einen bescheidenen Beitrag leisten können.
Die Bibel ins Gespräch bringen, den Weg Jesu Christi bekannt machen und das Fragen nach dem Leben und nach seinem Sinn unterstützen, das ist unter anderem Inhalt unserer Konfirmandenzeit.
"

In diesem Widerspruch auch nur zu denken, das wäre 1964 weder für mich noch für meine Eltern denkbar gewesen. Konfirmation war damals so etwas wie Geburtstag feiern, es gehörte einfach dazu. Auf einmal hieß es, "Du gehst ab Anfang Mai zum Konfirmandenunterricht!" - wobei ich mich nicht einmal an diese klare Feststellung erinnern kann. Denn sie hätte damals in unserem Ort gar nicht gestimmt. Hingehen mussten wir gar nicht, Konfirmandenunterricht war auf einmal da.

Aus heutiger Einsicht, nach vierzig Berufsjahren als Religionspädagoge, mit dem Hintergrundwissen von Entwicklungspsychologie und pädagogischen Grundsätzen war es schlicht unverantwortliche, was sich Kirche und Kirchengemeinden und Dummheiten über hunderte von Jahren (seit der Reformation Martin Luthers) geleistet haben. Doch es wird schon in diesem kleinen Moment sichtbar, wie ich ihn in unserer Kreisstadt erlebte. In der sechsten Klasse stand in unserem Stundenplan am Donnerstag in der siebten Stunde "Religion" - ich meine mich sogar noch an den Namen des Lehrers zu erinnern, der auf sein herzlich trockene Art schon dieses Fach beackerte, es ist ein jahreszeitlicher Begriff. Und dann kam es nach den Osterferien zum Klassenwechsel. Da stand auf einmal im Plan statt "Religion" ein schwer zu schreibendes Wort "Konfirmandenunterricht", ständig fehlte mir das erste "r" oder ich schrieb es mit "ie". Und auf einmal stand da der mir durchaus aus dem Elternhaus bekannte Pastor der Gemeinde. - Wer aber glauben würde, dass Religion damals ein Zensuren-Alibi-Fach war, in dem man eigentlich immer nur eine "zwei" haben konnte, der irrt. - Ich hätte bis vor wenigen Monaten beschwören können, dass wir in der gar siebten Klasse kein "Reli" gehabt hätten - und ich bleibe auch noch heute bei dieser Einschätzung, dennoch steht im Halbjahreszeugnis tatsächlich eine Zensur für dieses Fach; eine fies grinsende "vier". - Wurde der "Konfer" als Reli-Ersatz angesehen, oder wie kam es zu dieser Benotung? - Konfirmandenzeit in diesem Ort war für mich scheinbar voll an der Person vorbei - für mich? oder auch für den Pastoren? - Irgendwann fand ich zu Beginn meines Studiums das pflichtmäßig gekaufte Konfirmandenbuch im Bücherregal der Eltern wieder, - ich habe es noch! - es war wie unberührt, als wenn es nie aufgeschlagen worden ist. Und dann ein Blick hingeworfen: Boah! Wer schreibt solche Texte für 12jährige, was sollen sie damit anfangen?

Meine Erinnerung an das erste Konfirmandenjahr sind wie eine Spur am Stand der Nordsee, nach sechs Stunden kommt dien nächste Flut und weg war sie! Bis auf eine Ausnahme: Der Jugenddiakon und Kirchenkreismusiker hatte zu einem Kinderchor eingeladen. Seine Art mit Kindern und jungen Menschen überhaupt umzugehen, war selbst für heutige Maßstäbe vorbildlich. Er hatte die Gabe selbst zu schweren Aufgaben einzuladen und bei der Stange zu halten. Da war das Weihnachtsoratorium, mir hochkarätiger Besetzung der Solo-Stimmen und des Orchesters - und er wollte, dass der Kinderchor auch einen kleinen Part darin übernimmt. Er dirigierte also uns kleine Wichte wegen eines kleinen Chorals genauso eifrig, wie den großen Chor, das Orchester aus Hannover und die extra anreisenden Stimmen... und er fragte uns, wer am Sonntag in zwei Wochen den Halleluja-Vers vertragen wollte, eine kleine Schola, gewissermaßen. Aus dem einen Mal wurden mehrere Male, wir durften es selbst angehen und so machten es auch im ersten Konfirmanden Jahr. Alle zwei Wochen bauten wir einen Lobruf in das Halleluja der Gemeinde ein. Wir sangen diesen Part von der Orgel-Empore. Wir brauchten nicht bei den anderen Konfirmanden im Erdgeschoss in den ersten zwei Reihen sitzen. Und zu Beginn des Glorias aufstehen und erst wieder Platz nehmen, wenn der Pastor nach dem Kollektengebet und der ersten Lesung das Zeichen zum Hinsetzen gab. - Diese lange niemals begründete Stehübung nur für die Konfirmanden (rechts die Mädchen, links die Jungs) war absolut hohl und das wertete unseren Einsatz auf der Orgelempore erheblich auf. - Als Küstersohn musste ich dennoch auch meine Unterschriften-Karte für den Besuch vorlegen. Der Küster brachte sie in die Sakristei und der Pastor setze sein Namenszeichen an die betreffende Stelle für den aktuellen Sonntag. - Wie oft hatte ich auch Karten in der Hand und sie statt meines Vaters in die Sakristei brachte, die mit Namen geziert waren von Jungs, die gar an dem Sonntag gar nicht in der Kirche waren. Und sie erhielten sie am folgenden Donnerstag beim Konfer wieder ausgehändigt. - Kurz: Beschiss, der nicht nachzuvollziehen war! pur theorethisch hätte es nach dem ersten Konfirmandenjahr eine "Prüfung" geben müssen. - Für mich nicht. Die Familie wechselte mal wieder die Adresse, dieses Mal nicht innerhalb des Ortes, sondern gleich das Bundesland. Bis weit hinauf an die Grenze zu Dänemark ging es.

Konfer ging weiter - im selben Haus, in dem wir auch wohnten. 30 jungen Menschen in einem zu kleinen Raum - einmal pro Woche 45 Minuten mit einem Pastor, der aus Berlin hier her gezogen war. Dass dieser Pastor zum Widerstandskreis des III.Reichs gehörte, habe ich erst vor zwei Jahren auf einem seltsamen Weg erfahren. Er war ein akustisches und physisches Urgestein - aber erkennbar überfordert mit der zu großen Gruppe. Ich weiß noch, dass ihm eines Nachmittags die Hand ausrutschte, weil wohl wieder mal alles nicht so lief, wie man es 1965 gewohnt war, erwarten zu können. Diese Hand traf mich und ich weiß bis heute nicht mal irgendeinen Grund. zehn Minuten später saß er dann bei uns oben in der Wohnung und erholte sich bei einer Tasse Kaffee von dem Stress und wischte seinen Schweiß von der Stirn. - Sollte ich das Thema ansprechen? - ich hätte von meinem Vater die nächste verpasst bekommen. Strafen konnten nur gerecht sein. - Und vom Inhalt dieses zweiten Jahres? ich weiß nur noch die Abfolge der Stunden, sie waren klassisch geordnet: Aufrufen der Anwesenden: 5-10 Minuten - Abhören des in der Woche zuvor zum "auswendig Lernen" aufgetragenen: ca. 15 Minuten. Einer der Mitkonfirmanden in dieser gruppe war der Sohn dieses Pastoren. Dieser und ich, wir mussten alles können, die Blamage der Kirche vor sich selbst, das wäre einem Verrat der Sache gleich gekommen - nicht aus eigener Einsicht, sondern durch Auftrag der Familien. - 20-25 Minuten sind also schon verbraucht. Und nun noch auftragen, was aus Bibel und Gesangbuch und Katechismus neu zu lernen waren: noch mal so um 10 Minuten abhaken. Locker geschätzte 10-15 Minuten gingen dann noch für "RUHE" sorgen drauf.

Irgendwo muss ich noch den hektografierten, doppelseitig bedruckten DIN-A4-Bogen haben, auf dem auf beiden Seiten fein aufgelistet war, was in den zwei Konfirmandenjahren dieser Kirchengemeinde aufgetragen wurde auswendig zu lernen. Wir erhielten ihn etwa zwei drei Wochen vor der Konfirmandenprüfung. Texte aus dem Gesangbuch, die sich ja glücklicherweise meistens reimen, aber deren Wortlauf mir selbst heute noch nur schwer über die Lippen geht, weil die Wortwahl so fern meiner Wirklichkeit ist und einer aufwendigen Erklärung bedarf. Aber auch die Stücke des Kleinen Katechismus "mit Erklärungen". Wenn ich diese Erklärungen heute mit jungen Menschen lese, sehen sie mich groß an und wissen nicht mal, wie sie fragen könnten, um die Erklärungen zu verstehen. - Doch der Härtefall waren die Bibelpassagen - als nur ein Beispiel: die Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Ich sah damals wie heute keinen Pastoren, dass er diesen Text aus lauter Ehrfurcht diesen Text frei vorträgt.

Der Prüfungssonntag kam, ein Nachmittag im März 1964, ich war mir meiner Sache nicht sicher, weil hohles Memorieren mir bis heute nicht liegt. Aber ich war mir sicher, wenn ich die Innung blamieren würde, es täte mir am Leibe nicht gut - weil ich damit der ach so frommen Kriche und Familie einen Schaden zugefügt hätte. In der Woche vorher instruierte uns alle der Pastor, dass wir die rechte Hand heben sollten, wenn wir etwas mit Sicherheit aufsagen könnten und mit der linken, sollte wir die Unfähigkeit signalisieren. Johannes und ich wurden jeder für sich instruiert, wie hatten nur die rechte Hand zu heben. was blieb uns anderes übrig.

An die Konfirmation am folgenden Sonntag habe ich fast keine Erinnerung! und das ärgert mich noch heute im Rückblick auf den bald (im Studium) entdeckten Widerspruch zwischen Anspruch, Umsetzung und Wirklichkeit. Wenn denn die Konfirmation so wichtig ist, warum werden diese zwei Jahr so unreflektiert platziert(!) und veranstaltet - bis zum festlichen Sonntag inklusive. Bis zum November 2010 war ich sogar der knallharten Überzeugung, dass auf der Konfirmationsurkunde ein ganz anderer Segnungsspruch geschrieben sein müsste, als ich ihn mir gewünscht hatte. - Was war wohl alles passiert oder auch nicht, dass mir das Gedächtnis diesen Streich spielte?!

Ich weiß nur noch, dass ich traurig war, dass mein aus dem Lipper Land angereister Pate schon so früh am Nachmittag über Niebüll den Heimweg antreten musste. Und da war die Freude, endlich aus dem schrecklichen Anzug raus zu dürfen... - ich mag selbst heute dieses Kleidungsstück eher gar nicht an mir. Es macht mich zu jemandem, der ich wirklich nicht bin! - Auch wenn ich noch so oft gesagt bekomme, wie gut ich darin aussehen würde.

Vor Kurzem bekam ich einen kurzen Kontakt (per Internet) zu Johannes - seine Erinnerungen die Konfirmandenzeit sind auch nur so dürftig.

Seit 1972 bin ich selbst mehr und mehr (ab 1977 sehr stark eigenverantwortlich) in die Konfirmandenarbeit gestiegen und konnte trotz Studium oder grad deswegen nicht einmal im Ansatz erkennen, wie Anspruch und Wirklichkeit auf einen Nenner zu bringen sind... - seit zehn Jahren plädiere ich lauthals dafür, wenn Kirche sich nicht noch mehr Schäden zufügen will, soll sie diesen schon vom Ursprung her schädlichen Zopf (siehe erste Visitationsnotizen nach der Einführung) abschneiden und mehr auf die Menschen zugehen und ihnen beizeiten, eine Konfirmation anbieten, dann, wenn sich die Menschen individuell dafür breit und in der Lage sehen! - Allmählich bewegt sich was, aber erst sehr wenig!


 

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2011