GEH SCHICHTEN

 

Der Zirkus kommt! -
oder: Gefühle rund um den Garten

Zu den Besonderheiten meiner eigenen Biografie gehört es, dass ich durch eine ganz originelle Fügung im Rahmen meines Berufes dem Ort meiner ersten Schuljahre näher kam und schließlich seit 2001 ein sogar direkt in ihm zu tun habe. Damit kommt es nun immer wieder zu Gedankenbrücken, die in die weit zurückliegende Zeit um 1959 führt und erinnern lässt. Damals bezog meine Familie eine nagelneue Dienstwohnung mitten in der Kreisstadt. Diese Kreisstadt war schon damals wenig Besonderes, klein und mit einem festen Gefüge. Dazu gehörte es auch, dass man einen Garten hatte. Doch genau diese Zeit war es auch, die mir scheinbar nachhaltig den Gedanken an Garten reichlich vermieste. Die Vorstellungen von Garten waren scheinbar sehr klar umrissen und vermutlich auch schon damals mit einem überregulierten Pachtvertrag versehen. Das Wort Unkraut war eine feste Größe im Wortschatz rund um das Thema Garten, genauso wie „Franzosenkraut“ und „Quecken“. Auweia, welch ein Drama, wenn auch die kleinen Kohlrabi-Pflänzchen mit ausgezupft wurden, dann war das ein Zeichen von absoluter Unbelehrbarkeit ja sogar Böswilligkeit. - Der Garten wurde mehr und mehr für mich ein Fluch!

Eines Tages kam bei mir ein dickes Pfund Freude auf. Den Eltern war mitgeteilt worden, dass die bald zu bauende Umgehungsstraße genau über das Gartenland führen sollte, bei dem auch das von ihnen gepachtete Stück lag. Vor allem kam es so gut, dass sie sogar zu ersten gehören, die aufgeben mussten, weil eine zu bauende Brücke als erste Maßnahme in Angriff genommen würde. - Welch ein inneres Schützenfest bei mir. - Aber, oh schreck, die Freude wurde schon wenige Tage später restlos getrübt und dann verschüttet. Genau am anderen Ende der Stadt wurde ein Gartengrundstück frei und unsere Eltern nahmen das sich bietende Angebot sofort an.

Auf dem Weg zu diesem neuen Schrebergarten kamen wir am Gelände des kleinen Güterbahnhofs vorbei. Eigentlich nichts Besonderes. Die Stuhlmöbelfabrik auf der einen Seite des Bahnhofs und die Küchenmöbelfabrik auf der anderen sorgten für einen damals noch regelmäßig stetigen Betrieb auf den Gleisen, ohne nennenswerte Aufregung, waren es eigentlich immer nur die Anlieferung von Baumstämmen und die Abfuhr der Fertigprodukte. - Bis dann eines Tages richtig Trubel auf dem Gelände herrschte. Ein Zirkus wurde mit dem Zug angeliefert. Wagen vom Zug gefahren, Tiere auf Rampen herunter getrieben... Ich war damals etwa 12 Jahre alt. Der Weg zum Garten war darum an diesem Tag eine doppelte Tortur. Vorbei an dem bunten Treiben. Wie es auch immer es mir in den Sinn kam, ich hatte mich auf einmal von den Garten-Freunden abgesetzt und bin unter der Brücke hindurch zurück zur Rampe gegangen, habe ich mich auf einen Begrenzungsstein gesetzt und zugesehen. Bis ich auf einmal aus meinen Träumen gerissen wurde. Mein Vater hatte mich scheinbar gesucht und stand plötzlich hinter mir und schlug mir rechts und links eine um die Ohren. - Schönen Gruß vom Tinnitus! Mehr weiß ich von dem Garten hinter der Bahn nicht mehr. Aber. wenn ich heute zwischen dieser ehemaligen Kreisstadt und meinem Dienstsitz pendele, muss ich jedes Mal unter der Brücke des ersten hier genannten Gartens durchfahren – manchmal auch darüber hinweg und dann ist sie wieder da, die Erinnerung an die erleichternde Freude – und ausgerechnet in der Nähe der Eisenbahnbrücke befindet sich heute ein großes Einkaufszentrum und muss auf dem Weg dahin an der ehemaligen Laderampe vorbei. Dann sehe ich da oben die Zirkuswagen und spüre die gemeinen Schläge.


Szene auf  der eigenen Modellbahn-Anlage! (foto 2010)

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2010