GEH SCHICHTEN

 

Zitat: „Der Name Christel ist irreführend. Ich vermute mal französischen Ursprungs?
Oder gar das Elsass? Wie kommst Du zu diesem Namen? Magst Du uns berichten?

Christel - WIESO – WESHALB – WARUM?
Ein androgyner Vorname!

      Die Frage nach dem Vornamen wäre leicht zu beantworten - die Frage nach meinem Vornamen zu beantworten ist schwer? - Nein, die Antwort ist aufwendiger, vielleicht auch für die Leserin und den Leser zu kompliziert.

      Der Name „Christel“ selbst ist faktisch eine der Koseformen des Namens Christian/e = Anhänger/Angehöriger der (Religionsgemeinschaft mit dem Namen) Christen.

      Ein Blick in die Familienbücher (auch „Stammbuch“ genannt) der Standesämter in Deutschland zeigte (zumindest bis in die 1990er Jahre), dass dieser Name einem weiblichen oder einem männlichen Kind zugewiesen werden darf, ohne dass beim Standesamt Probleme der Zulässigkeit entstehen. Wenn das Familienbuch aus einem akkurat arbeitendem Druckhaus stammt, dann gibt es bei diesem Namen noch eine Fußnote. Diese besagt, dass bei männlichen Kindern ein „eindeutiger“ Namen als Ergänzung hinzusgewählt werden MUSS*. - Ich erlaube mir die sehr ernst gemeinte Meinung dazu: Das ist ein Rest aus dem urfaschistischen Denken in den Amtsstuben. Denn der Widersinn wird einem nach-denkenden Menschen schnell klar. Ist es nun ein Name – oder ist es keiner? Ist er nun für Weiblein & Männlein ZUGELASSEN oder nicht, und wenn JA, warum dann nur bei männlichen Kindern ein verlangter Zu-Name?
      Es gibt weitere Namen, die in Deutschland eine pauschale Zulassung haben, aber bei männlichen Kindern eine Ergänzung erfordern*.

      * = das aktuelle (2017) Namensrecht hat hier für eine radikale Umkehr gesorgt, der Name ist ein Name und keine Zuordnung

      Wir sind nur extrem wenige „Christel“ dieser besonderen Gattung, aber mir scheint, sie sind besonders nördlich des Mains anzutreffen.

      Das ist die sachliche Aussage zu „Christel“ als meinem seit 1949 amtlich bestätigten Rufnamen.



      Wie ich zu diesem Namen gekommen bin?
      Ich kenne die wirklich plausible Antwort auch nicht. Mit meinem Vornamen hatte ich mit Beginn der Schulzeit 1956 Probleme, das weiß ich nur zu gut. Das reichte soweit, dass sich Lehrer erkennbar innerlich weigerten, mich damit anzusprechen, „Du“ oder „Duda“ waren die gängigsten Anredeformen für mich, während die anderen Jungen (bis zur 7ten Klasse war es für mich eine reine Jungenklasse) einen Vornamen hatten, nur wenn ich negativ angesprochen wurde, dann wurde der Name ausgesprochen.

      Dass mit dem Namen etwas nicht stimmt, sagten nicht nur die immer wieder hinterfragenden Äußerungen der gleich- und ähnlich-altrigen „das ist aber doch ein Mädchenname!“. Wer sagte ihnen das? Und die eigenen Eltern? Der ohnehin wortkarge eher verschwiegene Vater hatte in meiner Erinnerung dazu nie ein Wort verloren und die Mutter kam irgendwann (etwa 4./5. Klasse) mit einer Legende(!) heraus.

      Eigentlich sei ich ein Zwillingskind und darum hätte ich eigentlich eine gleichaltrige Schwester und darum sollte ich eigentlich Christian und sie Christine heißen. Es sollte wegen der Nähe des Geburtstages zu Weihnachten ein entsprechender Name sein... Und weil meine Schwester schon kurz nach der Geburt verstorben sei, hätte ich den Namen für beide bekommen. Damit konnte ich damals zufrieden sein. Diese neue Geschichte hörte sich insgesamt logisch an und gab nir überhaupt erst mal lange zu knabbern.

      Was Du als Leserin/Leser dieser Zeilen aber nicht weißt, das ist eine schon zu dem Zeitpunkt wachsende Auseinandersetzung mit meinen Eltern – mehr mit der Mutter (Vater siehe oben) – die meistens ganz leise, im umfassenden Sinne eher nonverbal geführt wurde – nur hin und wieder kam es dann nach draußen und machte sich in Fragen Luft. Fragen, die aber eher nie beantwortet wurden und die damit eine Sprengkraft entwickelten, - was schließlich in einem absoluten Vertrauensverlust endete – eine Implosion! Da war auf einmal nichts mehr, was noch scheinbaren Halt geben konnte, alles war zusammen gefallen.

      Die eine Frage von mir tauchte schon vor der Einschulung auf und lautete, „Wann werde ich denn ein Mädchen?“ und sie hatte eine Entsprechung in der ähnlichen Frage „Warum kann ich kein Mädchen werden?“ Diese Frage durfte ich nach dem ersten Mal eigentlich nicht mehr stellen. Denn schon beim ersten Mal war die Reaktion die von Erschrockensein. Und beim nächsten Mal - zwei drei Jahre später muss das gewesen sein, erntete ich damit bittere Worte der Mutter und ein letzter Versuch (ca. 4te Klasse) bei einer Tante endete mit der Feststellung, ich sei wohl nicht ganz bei Trost, so eine verrückte Frage zu stellen, ich sei nun mal ein Junge! - Diese Antwort kannte ich schon aus ähnlichen Frustausbrüchen der Eltern und mit meiner Gegenfrage: „Was ist denn ein Junge? Wie muss ich das denn als Junge machen“ bekam ich damals eine der allseits beliebten „Ohrfeigen“, von denen ich so viele bekam, dass ich meinen heute chronischen Tinnitus darauf eindeutig zurückführen darf (gewissermaßen die Folge einer Art „Knalltrauma“)...

      Weitere Details sollen hier den Raum nicht zu sehr füllen. Mir war früh klar, es gibt um mich ein Geheimnis, dem ich aber nicht mal im Ansatz nahe kam.

    Der Name brachte mich durch die Rückfragen Fremder immer wieder in Erklärungssituationen, auch in eher komische. So erreichte mich 1967 die Aufforderung der Stadtverwaltung, ich möge mich zur Wehrerfassung melden... ich meldete mich und im großen Rathaus fand man meine Karteikarte erst nach längerem Suchen in der Abordnung der Frauen! - Dann bei der auch noch brav besuchten Musterung: Die Akte war nicht aufzufinden. Sie galt als Irrläufer. Der „eindeutige“ Zweit-Name bewirkte amtlich nichts – auch später nicht! – bis heute nicht! – selbst mein Arbeitgeber und seine Unterabteilungen konnten mit dem Zweit-Namen nur so viel anfangen, dass er dem Familien-Namen zugewiesen wurde und wird und ich somit eine Frau Christel mit Bindestrich-FamilienName bin – selbst nach nun fast vierzig Jahren Dienstzeit.


      Irgendwann – kurz nach dem Studium – erzähle ich mal wieder meine Namenslegende mit der „Zwillingsschwester“ (siehe oben), der Zuhörende denkt mit und nach und stellt die Rückfrage „Ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen, dass an der Geschichte etwas nicht stimmen kann?!“ - aufgefallen ist es mir bis dahin nicht, ich spürte bei der Legende immer nur so ein Unwohlsein: „Warum muss ich eigentlich von Geburt an die zweite Person auch noch verkörpern?“

      Und ich bekam eine kleine Nachhilfe im damals aktuellen Standesrecht der Bundesrepublik Deutschland: Die Geburt eines Kindes muss unverzüglich dem Standesamt angezeigt werden, und „damals“ legten die Ämter großen Wert darauf, dass da auch der Vorname schon umgehend feststand! - Meine Geburt wurde einen Tag danach incl. Namensnennung eingetragen! Rufname: „Christel“ männlich! Auch der zweite Vorname ist bereits zu dem Zeitpunkt bekannt. Und der Zuhörer meiner Geschichte fragte nachdenkend: Wenn die Eltern sich auf die Geburt eines Zwillingspaare vorbereiten und schon so klar sehen können, es werden Mädchen und Junge, darauf hin die Namen schon sehr dezidiert auswählen, woher kommt dann nach dem Sterben des einen Kindes der Gedanke an diesen „Namen für zwei“. Haben Eltern dann in ihrer Trauer die Zeit und Tiefe für solch eine tiefgreifende Überlegung? Und in diesem Nachdenken mit diesem guten Zuhörer erinnerte ich mich an eine Szene, die ich bis dahin immer wieder mal in der Erinnerung bei mir entdeckte, aber nicht wirklich verstehen konnte. Bei einer mir in der Erinnerung (ca, 6/7Jahre alt war ich da – ich ordne meine Kindheitserinnerungen den Wohnungen) rätselhaft bleibenden Situation im Badezimmer, will die Mutter unbedingt zwischen den Beinen nachschauen ob auch alles OK ist, „Nicht dass Du doch noch ein Zwitter wirst!“ - auf die Frage, was ein „Zwitter“ sei, erinnere mich als Antwort nur vage an „das sind ganz kranke Menschen!“ - Man bedenke, das III.Reich liegt grad erst zehn Jahre in der Vergangenheit.

      Und dann mit etwa 30Jahren begann mein Körper mir zu zeigen, was es mit „Christel“ auf sich hat. (Die Details wären hier ein anderes Thema)

    Ich gehe heute davon aus, dass 1949 ein allwissender und allmächtiger Gott in weiß sich nicht mit dem Krüppel abfinden wollte, dass ihm da in der Klinik vor Augen lag und kurzerhand seine Allmacht durch kurze schnell Reparaturen vorgenommen hat. Die Eltern wurden offenkundig nur mit Informationen gefüttert, die ihnen mehr Angst und Ansehens-Sorgen verursachten, als eine elterliche Beziehung zu dem Kind zuließen. Wie man aber dennoch so schnell auf diesen ein Kind eher belastenden Namen kommen konnte – damals, das bleibt auch mir endlich ein Rätsel.
    Ich lebe heute in der Gewissheit, dass in mir beide Teile ein gemeinsames und gar nicht widerstrebendes Leben führten und führen. Und seid ich es aufgegeben habe, nur die männliche Rolle verzweifelt zu suchen und einfach nur sagen kann „Ich bin ich!“ fühle ich mich um Welten wohler. Erstaunlicherweise hat meine Krankenkasse seitdem mit mir eher fast gar nichts mehr zu tun. (Einschub: 2011 kam es dann aber ganz dicke!) Und darum konnte ich vor einiger Zeit auch mal eine Dienststelle meines Arbeitgebers auf die Palme schicken als ich sie dringend bat, sich doch nun endlich mal für eine Anrede zu entscheiden oder ganz auf sie zu verzichten. Entweder „Frau Christel“ oder „Herr Christel“ - mir ist es am Ende unwichtig, wie ich zugeordnet werde, ich weiß auch nicht. was mein „Frau“sein ausmachen könnte. Der Erfolg war Konfusion, „Wie meinen Sie das denn?“ sie verstanden mich wirklich nicht! Und so kann es geschehen, dass man mich von einer Dienststelle anrufen will und nach „Frau Christel...“ fragt und die selbe Person, die sich eben noch tausendmal zu entschuldigen bemühte, dann in dem folgenden Schriftstück an mich doch wieder als „Frau Christel...“ anredet.

      Wir androgynen Menschen stellen Euch allen Anderen die Frage, zu welchem Zweck braucht Ihr eigentlich die Kenntnis um das biologische Geschlecht? Es spielt am Ende nur in einem ganz kleinen, dafür aber sehr intimen Rahmen des Lebens eine vielleicht entscheidende und wirkliche Rolle! - Vielleicht aber noch nicht einmal da!


     

    Ein Nachtrag (2009):
    Legenden haben leider die Angewohnheit, dass sie sich diesen und jenen anderen Berichten gegenüber behaupten, widersetzen oder ergeben müssen. So ergeht es nun auch meinem Vornamen und der Ausgangslegende: Im Kreis meiner Geschwister sind zwei ganz andere Legenden bekannt, die auch irgendwie logisch aufgebaut zu sein scheinen – jede für sich. Und keine passt zu den anderen und alle drei stammen von der gemeinsamen Mutter! Aber damit verliert der seltsame Vorname erst recht jede Begründung und darum verdienen diese "neuen alten" Legenden hier keinerlei Erwähnung.

     

    Ein Nachtrag (April 2010) als Beleg für viele vorausgehende Beispiele :
    Wir hatten uns bei der Rentenversicherung in Hannover zu einem Beratungstermin angemeldet. Heute war es soweit. Bei der Anmeldung vor knapp fünf Wochen hatte es noch funktioniert, dass die Empfangsdame uns in der Besucherliste als "FAMILIE Pruessner" eingetragen hatte und so wurden wir dann auch aufgerufen. Und es begann in dem kleinen Beratungszimmer mit Hilfe unserer mitgebrachten Unterlagen und den EDV-Einträgen in Berlin die Berechnung von Zeiten und Terminen und immer wieder wird bei Christel "Frau Pruessner" angesprochen und ihr (also tatsächlich mir!) werden die Abfolgen gezeigt, die ermittelten Werte usw. Bis es dann nach 15 Minuten zum Schwur kommen soll, weil noch eine ausführlichere Berechnung von Berlin anzufordern ist, ein genauer Blick von Monika auf den zu unterzeichnenen Antrag - Patzer! - die gesamte Kalkulation war erstellt worden für "Frau Christel" – Der Frauen-Bonus beim Alter usw. - "Ach, und das sind nicht SIE?!" - Doch, das bin ich schon, aber die Festlegung auf Frau verfälscht die nun errechnete Auskunft - "ach ... das hatte ich auch noch nie!" aber sie fing sich schnell wieder und fing nun also noch einmal von vorne an, denn Rentenauskünfte sind wirklich (ohne jedes Augenzucken!) sehr individuell; es mögen außer dem Vornamen alle Daten zutreffen, aber allein dass zu dem Vornamen noch eine winzig kleine Abweichung gehört, schon geht die ganze Beratung von neuen Fakten aus...  Der Name ist hier nun scheinbar wichtiger gewesen, als die korrekte Versicherungsnummer!

    Ein Nachtrag (Juli 2011)
    Gewissermaßen die Fortsetzung von April 2010: Im Zusammenhang mit einer dringend angesagten Heilbehandlung in einer Klinik, die von der Rentenversicherung als Kostenträger übernommen werden soll, findet man in Berlin "keine Christel Prüßner als Mitglied der Rentenversicherung"

 

Sammlung "Geh Schichten" - (C) Christel Pruessner, Hannover 2009/2010/2016