Startseite    Menue

 

      KAMMERSCHIEN - SELBSTHILFE PUR


      LEBENSKUNST ist kein Zuckerschlecken
      - sondern das gelungene  Leben

      Als ich mich 1980 zum ersten Mal auf den Weg machte, ahnte ich nicht, was mich erwarten könnte. Mir waren nur die Worte der Terner (Bewohner des Dorfes Terenten) im Ohr, die knapp sagten: “Mit denen dort möchte ich nicht tauschen!”. Im Pustertal der Südtiroler Alpen, auf 1.400m Höhe verbrachten wir beinahe 20 Jahre, jedes Jahr mindestens einmal im Jahr jeweils drei Wochen unseres Urlaubs - ohne Auto, nur mit Bus und Zug und „zuFuß“ auf Tour.. Und wenn schon Terenten damals noch ein ruhiger Flecken Erde war, so wurde dieser Eindruck am Ziel der nach „Kammerschien“ führenden Wanderung noch überboten. Am Ausgangspunkt war es noch eine ermüdende asphaltierte Straße, die uns weiter bergauf in das steil abfallende Nebental führte, dann wurde es ein Feldweg und schließlich machten uns nur die auf den Feldsteinen angebrachten Markierungen sicher, dass wir uns tatsächlich noch auf einem Weg befinden. Die Hanglage war längst so steil, das wir nur einen Schritt genau vor dem Anderen gehen konnten, ohne im feuchten Gras abzurutschen. Gibt es das Ziel, die drei Höfe von „Kammerschien“ wirklich? - Da plötzlich ein Feld auf der bergstrebenden Seite und auf dem Feld standen mehrere Menschen verschiedenen Alters, die jetzt Anfang September die Kartoffeln ernteten - von Hand - sie standen dabei nahezu aufrecht, mussten sich nicht bücken. Sie klaubten mit kleinen Handhacken die Kartoffeln aus dem Boden und diese kullerten zu uns herunter an den “Weg”. Ein Brett hielt die Kartoffeln auf und wir konnten sie, ohne zu bücken, aufnehmen - noch grüne Kartoffeln. “Bald kommt hier oben der erste Frost und wir brauchen einen Vorrat für den Winter.” - Einkaufen? - wie denn? Seit zehn Jahren gab es zwar eine von der EU gesponserte Materialseilbahn, auf der ausnahmsweise auch die Schulkinder 500m runter zur Bushaltestelle und später wieder raufgefahren werden durften. “Wir haben hier alles, was wir brauchen. - Und was passieren würde, wenn wir hier aufgeben?”

      Die Menschen dieser drei Höfe waren für die Sicherheit der Menschen im Tal überlebenswichtig. Berge sind unberechenbar. Immerhin hatten sie nun schon Telefon dort oben, auch von der EU gesponsert. - “Das Leben hier oben ist sicherlich nicht leicht - werdet ihr denken!” sagte uns der eine Bauer, aber wir sind damit aufgewachsen. “Wir wissen, dass man hier keines natürlichen Todes sterben wird. Entweder wirst Du vom Blitz erschlagen, oder von einem Steinschlag getroffen oder Du verkugelst* Dich!” (* = stürzt den steilen Hang herunter). Auf dem Rückweg zum Quartier überlegten wir immer wieder: “Möchten wir mit den Menschen von Kammerschien tauschen?” Allein der mühsame Weg ließ es immer wieder auf ein NEIN hinauslaufen. - Aber wir erlebten doch die Menschen in der kurzen Zeit so ganz anders als unsere Mitmenschen in der uns vertrauten Umgebung. Sie sangen beim Kartoffel-Roden, Sie setzten sich für einen kleinen Klönschnack eben mal auf den Boden zu uns, um sich Zeit für uns zu nehmen.

      Seit 1993 soll es nun doch auch einen festen Weg für Autos zu den da doch schon verlassenen Höfen geben. Denn diese Höfe hatten die jungen Leute damals nicht übernehmen wollen und bald musste der letzte Bewohner in ein Pflegeheim im Tal wechseln. Und von da an musste man irgendwie zusehen, wie das bewohnte enge Tal vor dem unberechenbaren Berg (“Eidechsspitze”, 2730m) geschützt wird. Mit viel Geld, mit viel Straße, mit viel Zähneknirschen… Lebenskunst bedeutete damals für die Menschen im guten Sinne SELBSTHILFE PUR! - Denn selbst die medizinische Nothilfe mit dem Hubschrauber war nur mit riskantem Aufwand möglich .

      Christel Prüßner, Dersenow Oktober 2023
      bereits veröffentlich

      im Web gefundene Informationen, die nachdenklich machen:
      "Bis 1993 war Kammerschien nur zu Fuß oder mit der Materialseilbahn erreichbar, heuer feiert man dort 25 Jahre PKW-Verkehr!? Seitdem geht auch kaum mehr jemand zu Fuß hinauf und entsprechend verwahrlost ist der alte Steig von Schaldern aus. Rustikal geht es zu, die Brennesseln erfreuen sich der Ruhe und wuchern vor sich hin, doch wir kämpfen uns tapfer weiter. Ein kurzer Blick zum Schmansner Wasserfall und schon stehen wir an der zauberhaften Lichtung mit den Kammerschiener Höfen. Es wird kräftig gebaut und renoviert, seit der Materialnachschub einfacher funktioniert.
      Trotzdem hat der Ort seinen Reiz bewahrt, hoch über dem Pfunderer Tal in der Bergeinsamkeit. Wir steigen ein wenig auf den Almwiesen herum auf der Suche nach Ausblicken und Fotomotiven, treffen neugierige Anwohner und bestaunen die neue Kapelle.
      Gipfelziele finden wir heute nicht und ziehen uns bald wieder zurück nach Schaldern. Der Steig erfordert ein wenig Aufmerksamkeit und sicheren Tritt, bringt uns aber in rasender Geschwindigkeit zurück zum Auto. Der Rückreiseverkehr im Pustertal hat sich beruhigt und wir finden einen freien Tisch in Obervintl zum entspannten Ausklang eines ruhigen Sonntagsausflugs mit und ohne PKW."

       



      Startseite    Menue