DIE
TAUFE

eine Nacherzählung
von Christel Prüßner,
Hannover

 

Hinweis/Empfehlung für
Seminararbeit oder
Konfirmandenunterricht:

 

    Kennst Du Robert? - Robert ist heute ein Mann, im Alter von 53 Jahren, er hat einen Beruf und hat ein gutes Auskommen. Er sagt von sich selber, daß er heute ein Leben führen darf, das ohne Angst und ohne nennenswerte Sorge ist.

    Robert war nicht immer in dieser Situation und daran erinnert er sich sehr genau.

    Seine Geschichte ist zunächst die Geschichte eines Kindes seiner Zeit, nichts besonderes unterschied ihn von den anderen Kindern. Er wuchs auf in den Ruinen der Nachkriegsstadt. Hierher hatte es seine Mutter verschlagen, als sie mit ihm aus dem Ostern hierher flüchten mußte. Er war grad acht Wochen alt; seinen Vater hatte er nicht mehr kennenlernen können, der mußte als Soldat sterben. Er hat ihn nur vom Erzählen der Mutter kennenlernen können, es gab auch keine Bilder. Aber seine Mutter erzählte ihm immer wieder von dem anderen großen Vater, der alle Menschen lieb hat und sie beschützt. Sie erzählte ihm davon, daß er getauft worden sei, und wie das gewesen sei.

    Und als er sieben Jahre alt war, wachte er eines Tages in einem großen Krankenhaussaal auf. Er war ganz und gar in Verbandszeug gewickelt. - Durch eine unselige Verknüpfung von Zufällen war es in dem maroden Haus, in dem er und seine Mutter mit vielen anderen provisorisch lebten, zu einer verheerenden Gasexplosion gekommen. Das Haus war zerstört, sehr viele der Bewohner wurden getötet, auch seine Mutter lebte nicht mehr. Man hatte ihn aus den Flammen retten können und er sah fürchterlich zugerichtet aus.

    Als er aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, ließ sich eine notdürftige Unterbringung in einem kleinen Dorf, draußen vor der Stadt organisieren. Dort sollte er zur Schule gehen, aber man schnitt ihn, sein durch die schlimmen Brandwunden entstelltes Gesicht war eine ekelerregende Zumutung für die Mitschüler, er hatte darum keine anderen Kontakte, als zu seinen Pflegeeltern, zwei angestrengt arbeitenden Menschen. Irgendwie - er weiß selbst heute noch nicht, wie es passieren konnte - irgendwie kam er eines Tages zu einem weit vom Dorf abgelegenen Kloster. Die hohen Mauern machten ihn neugierig und er fand eine Stelle, die es ihm erlaubte, einen neugierigen Blick über diese Mauer zu werfen. Da spielten Kinder, die so alt waren wie er, die jünger und älter waren. Und mit ihnen spielten Erwachsene in seltsamer Kleidung, Mönche dieses Klosters.

    Und bei dem was er da sah, war es Robert so, als würde er einen Blick in das Paradies getan haben. Da waren viele Kinder, die nicht allein waren, die im Schutz dieser hohen Mauer sich frei fühlen durften. Und er wollte schon wieder mit schwerem Herzen zu dem Haus zurückgehen, in dem seine Pflegeeltern vielleicht bald auf ihn warten würden. Da hatte ihn auch schon einer dieser Mönche eingeholt und hielt ihn vorsichtig an den Schultern, wandte ihm sein Gesicht zu... - und Robert bemerkte das Erschrecken in dem Blick dieses Erwachsenen. Aber er wandte sich nicht angewidert von ihm ab, sondern sah ihm fest in die Augen.

    Robert erzählte ihm ganz leise und stockend seine Geschichte und der Mönch nahm ihn mehr und mehr in seine Arme, um ihn wie ein Freund zu trösten.

    Robert sollte am nächsten Tag unbedingt wieder zu dem Kloster kommen. Robert fiel dieser Weg gar nicht so leicht, was sollten die anderen Kinder von ihm denken. An der Pforte wurde Robert schon von dem ihm bekannten Mönch erwartet und der nahm ihn bei der Hand und führte ihn in einen großen Saal, in dem grad all die Kinder das alljährliche Sommerfest vorbereiteten. Zunächst wurde Robert gar nicht wahrgenommen, denn alle hatten ganz viel zu tun. - Der Mönch konnte alle Kinder durch einige Zurufe bewegen, 'mal ganz schnell zusammenzukommen, er wollte ihnen etwas sagen. Und er nahm Robert mit sich und beide stellten sich vor die große Kinderschar. Der Mönch stellte Robert vor, erzählte in wenigen Worten dessen Geschichte und dann fragte er alle, ob sie sich vorstellen könnten, daß Robert an diesem Sommerfest teilnehmen könnte. - Es war ein großes Schweigen. Und Robert konnte sich den Grund durchaus vorstellen. Er sah da und dort ein leises Kopfschütteln und auch das Tuscheln zwischen Freunden. Es waren wohl die schwersten Minuten seines Lebens, sagt Robert heute, bis dann aus der großen Schar ein Junge trat, auf ihn zuging, ihn bei der Hand nahm und einfach nur sagte: "Komm, ich will Dein Freund sein!"

    Schon wenige Tage später durfte Robert in dieses Kloster einziehen und mit den anderen Kindern nicht nur das Sommerfest feiern, sondern mit Ihnen lernen und älter werden.

    (Vorlesestop!) Kennst Du Robert? Ich befürchte, auch Du wirst ihn nicht persönlich kennen. Aber vielleicht sind es kleine Spuren, die wir von Robert kennenlernen durften. Robert selber beendet seine eigene Geschichte gerne mit folgenden Gedanken:
    Für meine Mutter war es damals wichtig, daß ich das Geschenk der Taufe bekommen durfte. Sie hat immer gesagt, Du wirst nie ganz allein sein, es wird immer einer in Deiner Nähe sein, der dich mag, der Dein Freund ist. Und ich wußte, daß sie damit den Gott meinte, den sie auch meinen Vater nannte. Und heute weiß ich, daß ich mich wirklich auf dieses Geschenk verlassen kann. Die Taufe hatte sich damals in dem Kloster auf ganz neue Art und Weise wiederholt, ich fand einen Freund und ich durfte ihm ein Freund sein; das Geschenk der Taufe vermehrt sich auf unvermutete Art und Weise und immer wieder neu als ein Geschenk.

    Diese Erfahrung des Robert läßt sich nicht einfach auf Bestellung wiederholen. Um diese Erfahrung machen zu können, sind viele kleine wertvolle Zutaten notwendig:
    Ein Mensch, der offen ist oder der sich öffnen lassen mag, - wie Robert - Es ist ein anderer Mensch notwendig, der frei ist, der zu seinem eigenen Leben stehen mag, der frei ist auf Menschen zuzugehen und der sein Leben mit anderen teilen mag, so wie die Mutter, der Mönch und auch wie der junge Freund.

    Nacherzählung von Chr.Fr.Prüßner

 

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Hinweis - Empfehlung für den Einsatz im kirchlichen Unterricht oder in der Erwachsenenarbeit:

Vor dem Verlesen des Textes keinen Hinweis auf das Thema und auch nicht auf den Titel der Geschichte geben! Den Text nur bis zum STOP vorlesen!
Die Geschichte nach dem Vorlesen "im Raum stehen lassen" - ohne jede Aussprache!

Alle Teilnehmer sind aufgefordert der Geschichte einen Titel zu geben. - Diese werden dann offen gesammelt (an Tafel oder alle Teilnehmer auf einem eigenen Notizblatt, oder auf dem noch titelfreien Abdruck des obigen Tetxtes.
Das Ergebnis ist bis heute immer wieder - und so sollte es dann auch als Summe durch die Unterrichtenden (Leitenden) der Gesamtgruppe übermittel werden: Alles trifft genau den Kern und in der Summe ist es tatsächlich der Originaltitel. - Erst dann gehen die Leitenden mit der "Originalgeschichte" von Teilenhmer zu Teilmnehmer und zeigen "geheimnisvoll" (verdeckt) den Titel - es wird ein AHA-Erlebnis sein, auf dessen Auflösung der Letzte in der Runde mehr iund mehr gespannt sein wird.