Innere Außenansichten?
(ca.1995)
Schon am Anfang unserer Beziehung war die Rollenverteilung
klar: Ich hatte hübsch und charmant zu sein, Kurt dagegen klug und
erfolgreich. Eigentlich wollte ich studieren, aber Kurt sagte: „Wir werden
heiraten, du wirst Kinder bekommen, und ich werde Karriere machen. Du brauchst
keinen Beruf. Verdien' ein bißchen Geld für die Aussteuer, das
reicht.“
Ich nahm also einen Bürojob an, kaufte von dem Geld
Bett- und Tischwäsche, Geschirr, Gläser und Besteck. Als ich
alles beisammen hatte, war auch Kurt mit seinem Studium fertig und bekam
prompt eine gute Anstellung.
Dann stand der Hochzeitstermin fest, und ich wollte nur
noch eins: eine schöne Braut werden. Das Kleid wurde mir auf den Leib
geschneidert, eine Friseurin erprobte wochenlang meine Brautfrisur, und
das „Sieht sie nicht hinreißend aus!`“ klingt mir noch in den Ohren.
Kurt war stolz. Genau wie ich. Wir hatten unser Ziel erreicht. Die Ungerechtigkeit
ging mir erst
später auf. Ein Leben lang Erfolg zu haben, ist
sicher schwer, aber nicht unmöglich. Ein Leben lang jung und schön
zu sein, ist jedoch undenkbar. Da hilft keine Kos-metik, kein noch so ausgeklügeltes
Schönheitsprogramm. Aber kann eine Frau nicht auch mit Falten und
sogenannter vollschlanker Figur hübsch sein? Kurt war nicht der Meinung.
Es wurde immer deutlicher, wie wich-tig mein Äußeres für
ihn war, und ich fragte mich oft, was geschehen würde, wenn es sich
veränderte.
Schon mit meinen beiden Schwangerschaften
hatte er große Probleme. In den letzten Wochen vor der Geburt betrachtete
er mich oft kopfschüttelnd. „Was bin ich froh, daß ich diesen
Anblick nicht mehr lange ertragen muß'„, sagte er manchmal und ahnte
anscheinend nicht, wie weh er mir damit tat. In dieser Zeit kamen mir die
ersten Zweifel an seinen Gefühlen. Ich trug sein Kind in mir. Wie
konnte er da meinen dicken Bauch häßlich finden?
Seitdem nahm meine Sorge, von Kurt nur als gutaussehende
Frau geliebt und anerkannt zu wer den, ständig zu. Nach der Geburt
der Kinder hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als durch konsequente Gymnastik
meine Bauchdecke wieder zu straffen und meine alte Figur zurückzubekommen.
Ich stillte schon nach zwölf Wochen ab, nur damit nicht auch noch
meine Brüste so groß würden wie die meiner Mutter. Kurt
spornte mich auf seine Weise an. Zum Beispiel bekam ich zur Geburt des
zweiten Kindes einen einzelnen Ohrring geschenkt. „Den zweiten bekommst
du“, sagte er, „wenn du wieder in Größe 38 paßt.“
Ich ging regelmäßig zur Kosmetikerin
und ins Fitness-Studio. Schwimmen, Joggen, Gymnastik und kalorien-arme
Ernährung - das alles hielt mich schlank und ju-gendlich. Jedenfalls
sah man mir, als ich auf die fünfzig zuging, mein Alter nicht an.
- Im Gegensatz zu Kurt, der von seinem hektischen Managerleben gezeichnet
war! Bewegungsmangel und unregelmäßige Ernährung hat-ten
seinen Körper aufgeschwemmt. Durch zuwenig Schlaf war seine Haut schlecht
durchblutet und sah fahl und kränklich aus. Und seine Halbglatze machte
ihn auch nicht attraktiver. Aber Kurt ging mit diesen Schwächen selbstbewußt
um. „Meine Denkerstirn!“ pflegte er zu sagen, wenn er über seinen
Haarkranz strich. Und „Der hat viel Geld gekostet“, erklärte er lachend,
wenn die Rede auf seinen Bauch kam. Er, der es mittlerweile bis an die
Spitze der Firmenhierarchie gebracht hatte, brauchte nicht schön zu
sein. Seine Attraktivität war seine berufliche Bedeutung und das Geld,
das er ver-diente. Ich hatte beides nicht und sollte mich deswegen auf
die ewige Jugend konzentrieren.
Ich tat es, ohne zu murren. Unsicher wurde ich zum ersten
Mal in einem Gespräch mit meiner Freundin. Christa, nach einer kurzen
Ehe geschieden, kinderlos, als Bildhauerin recht erfolgreich und wenig
auf Äußerlichkeiten bedacht, war so ganz anders als ich. Vielleicht
bestand unsere Freundschaft gerade des-wegen so lange. Zwischen uns gab
es nie Konkur-renzgefühle. Christa saß vor einem Stück
Torte, wäh-rend ich an einem trockenen Keks knabberte, und sie bestellte
sich einen Cognac, den ich natürlich ablehnte. Mehr als ein Mineralwasser
gönnte ich mir selten. Christa sah mich kopfschüttelnd an. „Ich
habe ja bisher nie etwas dazu gesagt“ begann sie vorsichtig, „aber allmählich
fällt es mir schwer zuzusehen, wie du dein Leben damit verplemperst,
schön zu sein.“
Ich war empört. Am liebsten hätte ich Christa
darauf aufmerksam gemacht, daß ihre breiten Hüften und der schlaffe
Hals durchaus eine Korrektur vertragen könnten.
Aber Christa nahm mir das Wort schon aus dem Munde. „Natürlich
weiß ich, daß ich zu dick bin“, lachte sie. „Und wenn ich häufiger
zum Friseur ginge, sähe ich vielleicht auch jünger aus - so wie
du.“ Sie betrachtete nachdenklich meine zustimmende Miene. „Aber wozu?“
fragte sie. Ich zuckte zusammen. Was für eine Frage! „Das ist doch
klar“ begann ich und stellte beunruhigt fest, daß ich keine Antwort
parat hatte. „Du bist eben nicht verheiratet“, brachte ich schließlich
heraus. „Das ist kein Mann wert!“ entschied Christa. „Wenn ich mir vorstelle,
ich hätte in den letzten Jahren so gelebt wie du... wie hätte
ich mein künstlerisches Schaffen vorantreiben können, wenn mir
die Pflege meines Gesichts wichtiger gewesen wäre? Und wie hätte
ich so vieles genießen können, wenn ich immer nur an die Reue
danach gedacht hätte? Das Streicheln der zärtlichen Hände
eines Mannes über meinen sinnlichen Bauch, meine vielleicht viel zu
großen Brüste, ich möchte nichts hergeben, es sind viel
zu schöne Stunden damit verbunden – keine schweren oder häßlichen
Lasten.“
Sie sah mich jetzt ernst an. „Wirst du dich nicht irgend-wann
fragen, warum du nicht mehr aus deinem Leben gemacht hast? Und warum du
es nicht genießen konn-test? Schönheit ist vergänglich,
aber die Erinnerung an das, was du in und an Dir erlebt und was Du geschaffen
und genossen hast, diese Erinnerung wird bleiben.“
Ich wollte ihr nicht recht geben. Aber immerhin trank
ich einen Cognac und aß ein Stück Sachertorte. Und zu meinem
Erstaunen drückte mich nicht einmal mein schlechtes Gewissen. Was
Christa zum Schluß noch gesagt hatte, war wohl nicht von der Hand
zu weisen: Wenn Kurt mich wirklich liebte, mußten ein paar überflüssige
Kilos ohne Bedeutung sein.
Von da an gönnte ich mir öfter einen außerplanmäßigen
Genuß. Zwar achtete ich immer noch sehr auf mein Äußeres,
aber wo ich früher ängstlich die Kalorien gezählt hatte,
genehmigte ich mir nun ab und zu einen Leckerbissen. Und wenn ich keine
Lust aufs Fitness-Studio hatte, ließ ich es bleiben. Kurt schien
von meiner veränderten Lebensauffassung zunächst nichts zu merken.
Als er jedoch zum wiederholten Male erlebte, daß ich am Abend ein
Glas Wein trank und eine Praline knabberte, sagte er plötzlich: „Du
bekommst ein Doppelkinn.“ - „Du hast schon lange eins“, konterte
ich, denn ich hatte inzwischen einiges von Christa gelernt. - „Das ist
etwas ganz anderes“, er klärte mir mein Mann. Und auf meine Bitte,
mir den Unterschied zu erläutern, sagte er: „Ein Mann in meiner Stellung
braucht eine Ehefrau zum Repräsentieren.“
„Und dazu ist eine Frau, die Kleidergröße
40 trägt, nicht geeignet!?“ fragte ich zurück. - Kurt beendete
das Ge-spräch abrupt. Aber von da an bemängelte er jeden Schönheitsfehler.
„Du mußt etwas für deine Oberschenkel tun“ sagte er zum Beispiel.
Und oft lästerte er über meine Augenpartie. „Daß du dich
überhaupt noch zu lachen traust! Deine Augen verschwinden ja beinahe
in den vielen Falten.“ Schließlich fiel ihm auch auf, daß meine
Oberlider erschlafft waren. Und dann erzählte er mir von der Frau
eines Chefs, die mit ihrer bezaubern-den Jugend...
Eines Abend schob Kurt mir eine Visitenkarte über
den Tisch. „Ein Schönheitschirurg. Es wird Zeit, daß du dich
liften läßt. Ich habe schon mit dem Arzt gesprochen. Er sagt,
die Straffung der Augenpartie und das Absaugen des Oberschenkelfetts sei
eine Kleinigkeit. Am besten, du besorgst dir gleich morgen einen Termin
bei ihm.“ Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Obwohl ich den Tränen
nahe war, lehnte ich entschieden ab. - „Ich will, daß du den normalen
Alterungsprozeß akzeptierst. Wenn du das nicht tust, dann akzeptierst
du auch mich nicht.“
Mein Mann besänftigte mich. Davon könne keine
Rede sein. „Ich möchte stolz auf dich sein“, erklärte er, „und
dafür kannst du ruhig eine Kleinigkeit tun.“
Ich erkundigte mich bei meinem Hausarzt über die
Risiken. Dr.Braun sah mich skeptisch an. „Natürlich sind diese Operationen
relativ harmlos und die Risiken nicht allzu groß. Andererseits warum
wollen Sie jünger ausse-hen, als Sie sind?“ Er blickte mich über
den Rand seiner Brille forschend an. „Sie sind eine gutaussehende Frau.
Ich rate Ihnen, kein Wagnis einzugehen. Manchmal kommen Komplikationen
vor, und das Lifting mißlingt. Dann kann Ihr schönes Gesicht
sehr häßlich werden.“ Als ich die Hintergründe erklärt
hatte, schüttelte Dr. Braun verärgert den Kopf. „Ihr Mann ist
wohl nicht ganz bei Trost!“ schimpfte er. „Wie kann man seiner Frau so‘was
zumuten?“ Mein Entschluß stand fest: Ich würde mich nicht liften
lassen.
Kurt reagierte frostig: „Mit deiner Liebe für mich
kann es nicht weit her sein, wenn du mir nicht einmal diesen kleinen Gefallen
tust.“ – „Kleinen Gefallen?“ Ich wurde schrecklich wütend. „Was bildest
du dir ein - eine Opera-tion ist doch keine kleine Gefälligkeit!“
Mein Mann wandte sich um und murmelte etwas von unverständlicher
Hysterie. Dann nahm er seinen Mantel vom Haken und verließ das Haus.
Erst spät kam er heim und wollte nicht sagen, wie er den Abend verbracht
hatte.
Ich glaube, er will mich eifersüchtig machen. Ich
soll Angst davor haben, daß er sich einer Jüngeren zuwendet,
weil ich selbst nicht bereit bin, mich verjüngen zu lassen. Was Kurt
jedoch nicht weiß - ich habe keine Angst. Wenn er wirklich weiterhin
darauf besteht, daß ich mich liften lasse, werde ich es sein, die
sich von ihm trennt. Und seine bis heute ausgebliebene Dankbarkeit mir
gegenüber für all den Verzicht in meinem Leben für ihn,
wird er nicht Schecks und billigen Worten bezahlen können, das habe
ich gelernt, - spät – aber wohl nicht zu spät. Ich will keine
Rache, ich will keine Wieder-Gutmachung, ich will endlich leben dürfen,
als die, die ich bin und nicht als die, die „man“ mich haben will – auch
nicht mein Mann!
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