ARTUR B. (14J.)
Vom dauernden Auf und Ab im Gottesdienst!

Arthur nahm die Hände aus den Hosentaschen; er mußte es tun. Denn einmal war der Kirchenvorraum ganz schön feierlich, mit Sprüchen an der Wand und so: Ich bin der Weg und die Wahrheit und so; und dann gab ihm auch ein Mann in Schwarz-Grau ein Gesangbuch in die Hand, dunkelrot, ziemlich dick. "lch sing' hier keinen Ton", dachte Arthur, "kann mich keiner 'zu zwingenI Bin ìch Udo Jürgens?!" Er ging einer älteren Frau nach, die war hier bestimmt jeden Sonntag Kundin, drängte sich hinter sie in eine Kirchenbank und ließ sich und das Gesangbuch fallen. Beide landeten sie hart und geräuschvoll auf blankgesessenem Holz. "Sperrsitz", grinste Arthur, "hinten 'ne hohe Lehne, vorne 'ne hohe Lehne". Die ältere Frau stand neben ihm und guckte ziemlich interessiert auf ihre Hände, als sähe sie sie jeden Sonntag nur einmal. Arthur kapierte schnell, daß das hier Mode war, denn zwei Reihen vor ihm stand auch einer 'rum. Und so wühite er ein bißchen mit den Füßen über die Fliesen, kratzte an der Vorderlehne, räusperte sich und hangelte sich dann vorsichtig in eine stehende Stellung hinauf. Ein Mittvierziger auf der anderen Seite des Ganges sah ihn an wie das Vierte Gebot persönlich. Arthur sortierte seine Finger unterhalb des Bauches, sah sie entschlossen an und kaute auf seiner Verlegenheit herum, die so verdammt nach Beleidigung schmeckte. Wie sollte er denn das nun wissen, daß man in diesem Betrieb hier erst ein bißchen herumsteht, bevor man sich hinhockt? Die ältere Frau sank nach unten auf ihren Gotteshaussitz und ordnete ihre Waffen oder so: Gesangbuch, eine kleine, griffige Bibel, Brille, Taschentuch. Arthur merkte, daß er auf seinem Gesangbuch saß. Er zog es vorsichtig hervor, glättete die Eselsohren und ging dann hinter der Vorderlehne in Deckung. Die Kirche roch so wie bei der Beerdigung seines Großvaters. Arthur guckte gerade den dicken Kerzen vorne auf dem Tisch beim Brennen zu, als das mit der Orgei losging, Musik von so einem alten Herrn, mindestens fünfunddreißig Jahre alt. Es ging nicht so recht vorwärts mit der Orgel, der Mann an den Tasten wiederholte sich. Die Stelle, die sich wie ein Peterwagen anhörte, kam mindestens schon zum drittenmal. Arthur stellte seine Ohren ab. Die ältere Frau neben ihm verkleidete sich mit ihrer Brille, spitzte den Mund und fing an zu singen, daß sie ungefähr tausend Zungen haben möchte und dann auch noch einen tausendfachen Mund. "Müßte ganz schön irre aussehen", dachte Arthur. Der Gesang fand noch sechs Strophen lang statt, dann kam der Auftritt von Pastor H. Ein langes, schwarzes Kleid umflatterte seine Waden, vorne hatte er so eine Art Lätzchen dran, weiß. "Wie ein Pinguin in der Sommerfrische", grinste Arthur, wurde aber sofort wieder ernst, als der mit dem Vierten-Gebot-Blick ihn von gegenüber ansah. Pastor H. starrte mittlerweile unheimlich feierlich in die Kirche. Dann las er langsam was vor, so richtig mit Zittern in der Stimme wie Roy Black. Arthur bekam eine Feierlichkeitsgänsehaut. Pastor H. drehte sich um, was ganz schön unhöflich war, und fing an, ausländisch zu singen. Die Anwesenden tönten ihm postwendend etwas Deutsches gegen den schwarzen Rücken. Das passierte dann öfter. Man sang wieder einen, diesmal alles aus dem Kopf, Pastor H. wirbelte herum, zog seinen Weihnachtsmannblick an und sagte, daß der Herr mit Arthur und dem Rest sein sollte. Die anderen erzähiten Pastor H. dann was über seinen Geist. Arthur kam sich ganz schön auf Besuch vor, so im Ausland, südlich vom Äquator. Pastor H. streckte ihnen wieder seinen Rücken entgegen. Sie wollten beten, sagte er, Arthur wolite nicht. Die ältere Frau neben ihm sortierte blitzschnell ihre Finger und sackte zusammen, Arthur sackte mit. Pastor H. rief mit ganz hoher Stimme Sätze gegen die Kirchenwand, die eigentlich nicht anfingen und nicht aufhörten. Arthur dachte gerade: "Nun mach mal einen Punktl", da sagte Pastor H. "Amen". Alle Anwesenden tauchten wieder auf, niemand war in der Wortflut ertrunken. Arthurs linkes Bein war eingeschlafen, ihn juckte es an einer ganz unmöglichen Stelle, und es kribbelte schaurig in seiner Nase. Er rekelte sich in eine bequeme Stellung hinein, scheuerte sich an der Rückenlehne und bohrte dabei ganz vorsichtig in seinen Nasenlöchern. Die ältere Frau stand plötzlich stramm neben ihm; eben hatte sie noch gesessen, und nun stand sie, und die anderen alle auch. Arthur schoß verwirrt in die Höhe. Pastor H. las ungefähr die Hälfte der Bibel vor, und Arthurs schlafendes Bein kitzelte fürchterlich. Dann saßen wieder alle, und es wurde davon gesungen, daß die Christenheit hocherfreut sein sollte, nicht nur heute, sondern allerstunden. Bei einem Mann hinter Arthur überschlug sich bei den hohen Tönen immer die Stimme. Es klang jedesmal wie der inbrünstige Hiferuf eines Hirsches. Und dann ging es wieder aufwärts. Pastor H. las jetzt ungefähr die andere Hälfte der Bibel vor, und anschließend meinte er, sie wollten doch nun gemeinsam ihren christlichen Glauben bekennen. Arthur mußte still bekennen, daß er das Bekenntnis nicht so richtig kannte. Es war verdammt lang, und es kam so ziemlich alles darin vor, wo Arthur mit dem Glauben ganz schöne Schwierigkeiten hatte: Auferstehung und Höllenfahrt und Himmelfahrt und die Sache mit der Jungfrau vorher und das mit den Sünden. Nach dem Amen ging es wieder abwärts mit ìhnen. Arthur brauchte ein bißchen Erholung, die ältere Frau neben ihm war noch in Hochform. "Jeden Sonntag eben im Training", dachte Arthur. Es stand wieder ein Lied auf dem Programm, diesmal das von der einen Herde und dem einen Hirt. Bei Vers 4 verschwand Pastor H. und tauchte weiter oben in so einer Art Ausguck wieder auf. Er guckte erst ein wenig aus, dann warf seine Stirn Falten und er las ungefähr noch eine Häifte der Bibel vor. Danach fing er an, sich darüber unheimlich viele Gedanken zu machen. Er erzählte davon, daß Jesus da einmai ein Gesetz gebrochen habe, um einen Menschen zu heilen. Und die, die damals das Sagen hatten, seien darüber fürchterlich sauer gewesen. Das habe den Jesus aber nicht die Bohne gestört, im Gegenteil, er sei kiar und deutlich der Meinung gewesen, daß ein Gesetz nie größer sein dürfe als ein Mensch. Schließlich sei die Straßenverkehrsordnung oder so für den Menschen gemacht und nicht umgekehrt der Mensch für die Straßenverkehrsordnung oder so ähnlich. Und überhaupt sei das wichtigste Gebot das der Nächstenliebe, und wenn das mit irgendeinem Gesetz zusammenstoße, dann stimme irgend etwas an dem Gesetz nicht mehr. Arthur kam auf die Idee, daß man mit dem Jesus wohl ganz vernünftig reden könne. Und er spielte mit dem Gedanken herum, daß in diesem Gottesdienst auch alles ein bißchen zu stark nach Gesetz und Ordnung rieche und daß diese Veranstaltung nicht gerade überwältigend nächstenlieb zu Arthur B. (15 J.) sei. Pastor H. kanzelte noch einige Neuigkeiten ab, wer denn so neu auf dieser Welt sei und daß die Frauenhilfe am nächsten Montag einmal wieder über Hilfe und so nachdenken wolle. Dann sangen sie noch einen. Inzwischen stand Pastor H. schon am Tisch mit den dicken Kerzen herum. Es wäre wohl mal wieder an der Zeit zu beten, meinte er. Arthur war zwar anderer Meinung trotzdem stand er gehorsam mit den anderen auf. Das Gebet dachte umständlich an alle Leute, die irgendwo Schwierigkeiten hatten, mit der Unreinheit der Luft und so. Arthur hatte Schwierigkeiten mit dem Gottesdienst. Aber das war wohl dem Gebet nicht so wichtig, denn davon kam nichts vor. Sie sprachen dann alle im Chor noch ein Gebet, wo man dann nicht in Versuchung geführt werden woilte und dem lieben Gott das Reich sein sollte. Arthur kannte sich da aus und erzählte lauthals mit. Dann turnte Pastor H. herum und gab bekannt, daß sie nun im Frieden des Herrn gehen sollten, was Arthur eigentich nicht gepiant hatte. Einen ordentlichen Segen gab es auch noch; Pastor H. schlug mit seinen Händen ein kräftiges Kreuz durch die Luft und machte ganz schön Wind damit. Die Orgel spuckte große Töne. Die ältere Frau neben Arthur guckte noch ein bißchen ihre Hände an, Arthur machte es vorsichtshalber auch, dann packte sie zusammen. Arthur drängte sich dem Ausgang entgegen. Er hatte das alles mit Gottesdienst ein bißchen satt und außerdem Hunger. An der Kirchentür schepperten Geldmünzen in einen Pott. Arthurfingerte sein Kleingeld ansTagesicht, 1,17DM, und schmiß es durch den Schlitz. "Schließlich kostet die Show hier auch nichts", dachte er ein wenig wütend, während er über ein Kind stolperte, das ihm entgegen in den Kindergottesdienst stürzte. Um so in die Kirche zu rasen, war er wohl zu alt. Die ältere Frau von nebenan lächelte sich langsam durch das Gedränge. Um so nach einem Gottesdienst auszusehen, war er scheinbar zu jung. "Denkt an Arthur", dachte Arthur (15J.), "wenn euch euer Gottesdienst lieb ist!"

(Autor u. Quelle: unbekannt)