Vom Nichts zum Jetzt
– eine etwas andere
Schöpfungsgeschichte

Prof. Dr. Willem B. Drees
beim Kirchentag in Köln 2007

Es gab einst eine Zeit,
 als es keine Zeit gab,
 als Zeit noch nicht war.

 

Diese Zeit,
 die keine Zeit war,
 ist ein Horizont des Nicht-Wissens,
ein Nebel, in den unsere Fragen entschwinden,
 und nie kommt ein Echo jemals zurück.

 

AmBeginn,
 der vielleicht nicht Beginn genannt werden darf,
 in diesem ersten Bruchteil einer Sekunde,
 der vielleicht nicht der erste Bruchteil
 der ersten Sekunde genannt werden darf,
 hat unser Weltall angefangen,
 noch ohne uns.

 

Nach dem Beginn,
 der vielleicht nicht Beginn genannt werden darf,
 nach dem ersten Bruchteil einer Sekunde,
 der vielleicht nicht der erste Bruchteil
 der ersten Sekunde genannt werden darf,
 nachdem unser Weltall begonnen hatte,
 noch ohne uns
da war das Weltall wie eine kochende See,
 ohne Land und ohne Luft,
 wie ein Feuer
 ohne Holz und ohne Wind.
 
So klein wie es war,
 nur auf sich angewiesen,
 hat das Weltall
 sich den Raum geschaffen,
 Kühle und Materie hervorgebracht.
In Milliarden von Milchstraßen
 schuf das Weltall aus Staub Sterne,
 aus Sternen hat es Staub gebildet.

 

Viel später hat sich
 aus dem Staub von Sternen,
 dem Staub
 von Sternen von Staub
 unsere Sonne zusammengewirbelt
 und aus kleinen Resten
 die Erde, unsere Heimstatt.
Nach zehn Milliarden Jahren
 wurde es so
 Abend und Morgen:
 der erste Tag.

 

Leben,
 ein unauffälliger Anfang,
 ohne Richtung,
 eine Geschichte
 vom Misslingen
 und vereinzelt, ein bisschen,
 Erfolg.

 

Ein Molekül übertrug Informationen
 von Geschlecht auf Geschlecht,
 durch Zufall wurde
 Zielstrebigkeit erreicht.
Das Gift
 wurde eine Gabe,
 Sauerstoff
 ein schützendes Gewand.
Milliarden von Jahren später
 verschmelzen Zellen,
 Geschlechtlichkeit, Alter und Tod,
 neue Formen,
 neues Trugbild.

 

Ein einzelner
 langsamer Lungenfisch
 glitschte über den Rand:
 so kamen Amphibien zustande.
Erfolgreiches Leben,
 eine Katastrophe,
 vorbei,
 eine neue Epoche.

 

Vorgestern,
 vor ein paar Jahrmillionen,
 die East Side Story,
 Affen, Gruppen,
 jagen und rufen.
Stöcke, Steine, Feuer,
 essend
 vom Baum der Erkenntnis,
 vom Baum des Guten und des Bösen,
 Macht, Freiheit,
 Verantwortlichkeit.
Tiere bleiben wir,
 mehr wurde geliefert als bestellt,
 mehr als zu tragen?
Religion
 Zement des Stammes,
 Mächte des Waldes,
 der Berge, des Sturmes, des Meeres,
 Geburt und Tod,
 mehr als das unmittelbare
 Eine sollen, dazugehören,
 übermächtig die Götter.

Gestern, vor zehntausend Jahren,
 schlug Kain Abel, seinen Bruder, tot,
 beschämt essen wir Bauern das Brot,
 die Erde schreit, vom Blut für immer rot?

 

Eine neue Zeit,
 ein Prophet warnt
 Fürsten und Volk,
 ein Zimmermann erzählt:
 "Ein Mann von Räubern zusammengeschlagen,
 wurde gesundgepflegt
 von einem Feind."
Sehen,
 messen und zählen,
 Wissen erproben
 und Macht.
Aufklärung
 Auszug aus der Unmündigkeit.
Mit unserem Kästchen
 voller Buchstaben und Geschichten
 auf dem Weg
 in dieser Zeit.

 

Zwischen Hoffen und Angst
 unsere Nächsten,
 das Leben
 hier auf der Erde,
zwischen Hoffen und Angst
 das große Projekt
 von Denken
 und Mitgefühl,
 auf einem Weg
 in Freiheit.

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