Der Tanzaffe
      (unbekannt)

      Im Süden von Ägypten, weit droben am Nil, hatten die Affen ein großes Reich. Dort kletterten sie in den Bäumen herum und fraßen die Früchte herunter. Besonders liebten sie Datteln und Dummnüsse. Den klügsten und größten unter ihnen machten sie zum König. Den bedienten sie nach dem Vorbild des Pharao in Ägypten. Die Affen, die ein wenig kleiner waren als der König, wurden Minister, die schwarzen Affen wurden Priester, und die übrigen lernten ein Handwerk oder wurden Bauern. Bald konnten sie alle Arbeiten verrichten, die in einem großen Reich nötig sind.
      Die Bauern bewässerten das Feld. Sie trugen vom Nil herauf die vollen Krüge an ihrem Nackenjoch und leerten das Wasser auf die Beete und an die Wurzeln der Bäume. Ihre Kinder saßen ihnen dabei auf den Schultern und stibitzten Feigen und Nüsse von den Bäumen und alles, was ihnen gut schmeckte.
      Nach der Ernte rechneten die Affen das Getreide ab und der Aufseher gab gut acht, dass nichts am Maß fehlte. Aber wenn sie mit ihrer Arbeit fertig waren, belustigten sie sich mit allerlei Spiel und Vergnügen. Die einen machten ein Brettspiel, die anderen rangen miteinander oder sie ruderten in einem Boot auf dem Nil. Manche balgten sich auch einfach nach Bubenart und wirbelten dabei im Tanz. Einige Affen konnten auf einem Pferd reiten oder aber einen Wagen lenken.
      Die gelehrigsten unter den Affen wurden auserwählt, für den König schöne Künste zu erlernen. Sie wurden unterrichtet in Musik und Tanz. Sie spielten auf der Harfe oder bliesen die Flöte, andere zupften die Laute oder schlugen die Trommel. Der Lehrer hatte es nicht leicht mit ihnen, denn oft vergaßen sie ihre Rolle und fingen an zu pfeifen oder schlugen vor Vergnügen gar einen Purzelbaum. das war ein wildes Treiben in der Musikstube. die tüchtigsten unter den Musikanten durfte die Tänzer begleiten.
      Es war an einem schönen Tag, da segelten aus dem Land Ägypten viele Schiffe stromauf in das Land, wo die Affen wohnten. Pharao hatte von dem Reich der Affen gehört und von ihren Tanzkünsten. Er sehnte sich sehr danach, einen solchen Tanzaffen zu besitzen, denn er litt gar manches Mal an Langeweile. Die Ägypter luden den besten Tanzaffen in das schönste Schiff. In die anderen Schiffe packten sie Datteln und Nüsse und seltene Tiere des Affenlandes. Pharao freute sich über die Maßen, als er den gewandten Tanzaffen sah. Das Tierchen war heil nach Ägypten gekommen und tanzte dem König sogleich sein flinkstes Stückchen vor. Ein anderer Affe begleitete ihn dabei auf der Flöte. Das ging alle Tage so, und der König war sehr zufrieden.
      Der Affe lernte immer besser tanzen, und jedermann am Hofe hatte ihn gern. Bald war der Tanzaffe das beliebteste Wesen im königlichen Palast. Das aber ärgerte den Hofnarren außerordentlich. Er war ein buckliger, krummbeiniger Zwerg, der sich auf viele Späße verstand und bisher als einziger dem Pharao die Zeit vertrieben hatte. Jetzt zog ihm Pharao den Tanzaffen vor, und der Hofnarr wurde eifersüchtig. So sann er eine List aus und wartete auf den Tag, da er sie ausüben konnte. Dieser Tag kam bald. Stolz auf seinen Tanzaffen, wollte Pharao ihn in einem prunkvollem Schauspiel dem Hofstaat vorführen.
      Er kleidete den Affen in ein kostbares Leinengewand, legte ihm Ohrringe an und einen goldenen Reif um die Handgelenke. Über den Kopf stülpte er ihm eine Maske mit Menschengesicht. So glaubte jedermann, wer da tanze, sei ein junges Mädchen und nicht ein Affe.
      Zur Musik einer Kapelle betrat der Tanzkünstler den Goldenen Saal und bewegte sich so geschmeidig, dass alle Zuschauer meinten, eine neue Solotänzerin aus Asien sei gekommen, und sie klatschten jubelnd Beifall.
      Der Hofnarr aber, der bucklige, krummbeinige Zwerg, hatte heimlich in den Saal einen Sack schaffen lassen, voll mit Dumnüssen. Er hatte ihn in eine Ecke gestellt und mit einem Tuch zugehängt. Als nun wieder einmal lauter Beifall durch den Saal rauschte und der Tanzkünstler sich vor dem König verneigte, zog der Hofnarr das Tuch von dem Sack, so dass die Nüsse sichtbar wurden.
      Da riss sich mit wilder Gebärde der Affe die Maske vom Gesicht und stürzte auf die Nüsse los, hockte sich auf den Boden und fraß. Er fraß mit äffischer Gier, schmatzte und spuckte die Schalen auf den Boden.
      So sah der ganze Hof, wie es ist, wenn einer nur die äußeren Manieren lernt, sich aber nicht wandelt bis in den Kern.

     

     

     

     

     

     

     


      DIE MAUS ALS WESIR

      (unbekannt)

      Im Reich der Tiere war ein weiser Wesir. Er stand Pharao stets zur Seite, lieh ihm Rat, betrieb in seinem Namen die Staatsgeschäfte und sprach Recht. Er richtete über die Untertanen gerecht, aber voll Milde. Im schönen Lebensjahr von 110 Jahren legte sich der Wesir und starb. Nun hielt Seine Majestät der König unter den Höflingen Ausschau, wen er zum neuen Wesir wählen solle. Aber keiner gefiel ihm, und er hatte niemanden, de er um Rat fragen konnte.
      Da kam er auf den Gedanken, ein Rätsel auszuschreiben. Wer es am besten lösen würde, der sollte zum neuen Wesir ernannt werden. Er schickte seine Boten durchs Land und ließ das Rätsel öffentlich verkünden. Es lautete :

          Was ist süßer als Honig
          und bitterer denn Galle?

      Die Tiere sannen über dem Rätsel, sannen und sannen, aber es war für sie zu schwer. Einmal war der Mond schon um die Erde gewandert, und noch immer war kein Wesir gefunden. Gerade als der alte Mond zum letzten Mal unterging und Pharao beinahe verzweifelt war, lief ein winziges Mäuslein heran und flüsterte dem König ins Ohr :

      > Das Amt des Wesirs.<

      Das war des Rätsels Lösung. Pharao erhob sein Haupt, pries die kleine Maus und bestimmte sie zu seinem Wesir.
      Die Maus wurde feierlich in ihr neues Amt eingeführt. Pharao spendete ihr Lobgold und nahm ihr den Wesirs-Eid ab. Dabei verlas er die Tugenden eines gerechten Wesirs. Fortan sollte der Mauswesir zur Rechten Pharaos sitzen.
      Das Tiervolk bereitete unterdessen ein großes Fest vor, um die neue Würde der Maus zu begehen.
      Die Hasen entwarfen den Plan.
      Das Nilpferd braute Bier, eine Ziege schleppte mit dem Nackenjoch Wasser heran, und der Dickwanst selbst trieb die Maische durch das Sieb in den Krug. Ein Schwein holte den Bierteig auf einer Schale, während eine Hyäne das Junge des Schweins in einem Brusttuch hütete. Katzen mischten in der Küche den Wein und backten Kuchen.
      Eine große Kapelle übte Musik ein und probte Tänze. Der Ziegenbock schlug die Trommel, ein Fuchs zupfte die Laute, ein anderer blies auf der Doppeloboe. In der Ecke nebenan stand der Esel als Lehrmeister vor zwei Ziegen. Er schwang den Taktstock zu den Tanzsprüngen der beiden Gehörnten. Und auch das Krokodil und der Löwe brüllten Lieder und begleiteten sie mit Musik.
      Unterdessen wurde der Mäuserich zu seinem Festtag gerüstet. Man wusch ihm die Füße, reichte ihm Augenschminke und den Spiegel. Eine Katze trug ihm den Morgentrunk auf. Die Maus schlürfte den Wein mit einem Rohr aus dem Krug.
      Eine Katzenzofe band ihr eine schöne Schleife um den Hals, und wieder eine andere Kammerzofe brachte den Wedel, um dem hohen Herrn kühle Luft zuzuwedeln.
      Bald war alles bereit.
      Familie Maus fuhr im ersten Wagen. Aber dann kam auch schon das Gespann mit den abgeordneten Gratulanten.
      Schön geschmückt, mit einer Lotosblume auf dem Kopf, hinter ihr ein Paladin. Der ganze Pavillon war mit Girlanden behängt.
      Eine Katze mit Fächer trat vor, überreichte dem neuen Wesir eine Schale mit duftender Speise und sprach einen Segenswunsch dazu. Ihr folgte ein Fuchs mit einem großen Blumenstrauß. Doch als er den Glückwunsch aufsagen wollte, war er so aufgeregt, dass er stotterte. Aber der Fuchs mit der großen Standharfe spielte das Preislied unbeirrt zu Ende, und die Maus erfreute sich an allem Schönen.
      Hinter diesen Gratulanten folgte ein langer, langer Zug von Tieren, um der Maus zu huldigen. Sie brachten Blumen, Wein und Kuchen, Schmuck, Waffen und Gewänder in Truhen. Dabei musizierten sie ohne Pause. Der Mauswesir thronte derweilen würdig und nahm die Ehrungen hoheitsvoll entgegen.
      Alle Tiere vergnügten sich. Sie ließen es sich schmecken, scherzten, machten Possen und wetteiferten auch im Spiel auf dem Brett.
      Beinahe wäre jedoch auf dem Fest ein Unglück geschehen. Ein Krokodil hatte einen kleinen Fisch mitgenommen, den es sehr liebte. Als die Hyäne das appetitliche Tierchen sah, gelüstete es sie, das Tierkind zu fressen. Aber das Krokodil verteidigte es mit seinem Schuppenschwanz, so dass ihm kein Leid zustieß.
      Das Krokodil ließ die Geschichte auf sich beruhen. Aber ein kleiner Hund hatte sie beobachtet und verriet sie seiner Mutter. Die Hündin hätte die Hyäne am liebsten gleich beim Wesir verklagt, aber der Hyänenmann und der Hundvater baten, um der Eintracht willen zu schweigen.
      So kam das Fest fröhlich zu Ende.
      Doch anderen Tages begann mit dem Amt der Maus auch das Gericht. Gleich wurden Missetäter ins Gefängnis abgeführt. Katze und Hund, die Vorderpfoten im Block, wurden gefesselt fortgezogen. Ein Büttel trieb sie von hinten mit einem Knüppel an. Die Katze nahm ihre Habseligkeiten auf dem Kopf mit in den Arrest. Der Mauswesir war streng, aber gerecht.
      Doch hatte die Maus auch viel Jähzorn im Charakter. Sie regte sich rasch auf und stand in Gefahr, in ihrer Wut das Maß der Strafe zu übertreiben. Besonders empfindlich war sie gegen das Mausen.
      So ließ sie eines Tages ein nubisches Kind, das ein paar Datteln gemaust hatte, vom Katzenbüttel heftig ausprügeln. Der Schuldige hob die Arme und bat um Milde. Aber die Maus blieb unerbittlich. Das Jammern des Kindes erbarmte sie nicht.
      Das kam Pharao zu Ohren. Er ließ den Wesir zu sich rufen, tadelte ihn gehörig und machte ihm zur Pflicht, sein Unrecht wiedergutzumachen.
      Was tat die Maus?
      Sie befahl, dass das nubische Kind die Katze ebenso verprügeln solle, wie die Katze das Kind verprügelt hatte. Aber weil die Katze ja ganz unschuldig war, zögerte das Kind, sie zu strafen. Doch die Maus verlangte Gehorsam, und so schlug das Kind auf die arme Katze ein, bis sie kläglich schrie.
      Als Pharao die Geschichte erfuhr, wurde er wütend wie ein oberägyptischer Panter. Er konnte keinen Hitzkopf in seinem Reiche dulden, der zuerst unbedacht strafen ließ und dann ein Unrecht durch ein anderes Unrecht gutzumachen suchte. So jagte er den Wesir mit Schimpf und Schande unverzüglich aus dem Amt. Und nicht genug : Er empfand einen solchen Abscheu vor der Maus, dass er weder sie noch ihresgleichen je im Leben wiedersehen wollte. Darum gebot er öffentlich und laut :

          Von Stund an sollen alle Mäuse vom Felde verschwinden
          und sollen nur noch unter der Erde leben! <

      Der König sprach‘s und so geschah es.

      Daher kommt es, dass die Mäuse bis heute in unterirdischen Höhlen hausen.

     

     

     

     

     

     

     


      Der Fuchs und der Löwe

      (
      Martin Luther)

      Der Löwe hatte viele Tiere zu sich in die Höhle geladen, darinnen es gar übel roch und stank. Als er nun den Wolf fragte, wie es ihm gefiele in seinem königlichen Hause, da sprach der Wolf :"O, es stinkt übel herinnen". Da fuhr der Löwe zu und zerriss den Wolf.
      Danach, als er den Esel fragte, wie es ihm gefiele, und der arme Esel sehr erschrocken war über des Wolfes Tod und Mord, da wollte er aus Furcht heucheln und sprach :"Oh, Herr König, es riecht wohl allhier". Aber der Löwe fiel über ihn her und zerriss ihn auch.
      als er nun den Fuchs fragte, wie es ihm gefiele und wie es röche in seiner Höhle, da sprach der Fuchs : "OH, ich habe jetzt den Schnupfen, ich kann nichts riechen."
      Denn er wurde mit andrer Leute Schaden klug, dass er sein Maul hielt.